Der erste Forschungspreis der Aue-Stiftung geht an Dr. des. Benjamin Schweitzer

Für 2024 hat die Aue-Stiftung zum ersten Mal zwei Forschungspreise ausgeschrieben: den ersten Preis für ein abgeschlossenes Forschungsprojekt und den zweiten für eine Abschlussarbeit, die thematisch zu den Schwerpunkten der Aue-Stiftung passen. Der erste Preis geht an Dr. des. Benjamin Schweitzer und seine Dissertation über finnische Musikfachsprache. Der zweite Preis wurde in dieser Runde nicht verliehen, weil Kriterien der Aue-Stiftung nicht erfüllt wurden.

Dr. des. Benjamin Schweitzer (Foto: Nadine Bauerfeind)

Die Jurymitglieder waren Prof. Dr. Marja Makarow, Dr. Marjo Vesalainen, Hannu Salonen und Prof. Dr. Sandra Reimann. Die Entscheidung wird wie folgend begründet:

Nicht nur Sibelius, „Pelzmützenoper“ und „arktischer Sinfoniehass“

Benjamin Schweitzer und die finnische Musikfachsprache im Diskurs

Gleich vorweg: Es geht hier nicht um Musikstücke, Songtexte oder gar Noten und somit erübrigt sich auch die Frage, ob Kompositionen einer Bewertung unterzogen wurden.

Benjamin Schweitzers (deutschsprachige) Arbeit über finnische Musikfachsprache erweist sich als wahres Meisterstück der multiperspektivischen methodischen Beleuchtung eines bisher kaum beachteten Themas, das der Verfasser über eine sorgfältige Zusammenstellung an Materialien fachsprachlich, diskurslinguistisch und diachron beleuchtet. Sein Korpus umfasst (im Kern) Musiklehrbücher über einen Zeitraum von rund 120 Jahren, Nachschlagewerke, Musikzeitschriften, Konzertkritiken, Zeitungsartikel und einiges mehr. Über den fachsprachlich vertikalen Zugang – also nicht nur die Berücksichtigung von Terminologie, sondern auch die Sprachverwendung in Gebrauchstextsorten und gegenüber unterschiedlichen Zielgruppen – kann Benjamin Schweitzer den (finnisch) kulturspezifischen Umgang in den musikbezogenen Texten herausarbeiten, und zwar jenseits eingängiger Beispiele wie karvalakkiooppera ʻPelzmützenoperʼ oder pettuleipäsinfonia ʻRindenbrotsinfonieʼ. So ist zum Beispiel vom „‚Sinfonischen‘ als Chiffre für Anspruch und Bedeutung in der Form“ (S. 423) die Rede oder von der „oppositionelle[n] Grundfigur von NATUR und TECHNIK mit ihren umfangreichen semiosphärischen und kollektivsymbolischen Ausdehnungen“ (S. 423/424), die Schweitzer „in ihren konkreten Realisationen als spezifisch finnische Diskursstränge“ identifiziert. Die notwendigen langen finnischen Zitate im Original wurden übrigens alle ins Deutsche übersetzt und gesamthaft ans Ende der Arbeit gestellt.

Die für die Bewerbung um den Forschungspreis der Aue-Stiftung relevante Auseinandersetzung mit einem Thema im finnisch-deutschen Schnittbereich ist mustergültig gegeben, wie sich beim Lesen frühzeitig herausstellt. Die finnische Musikfachsprache – so der Autor – adaptiert auf vielfältige Weise Phänomene der deutschen Musikkultur und -fachsprache, die bereits recht gut beforscht wurde: Terminologie, Schreibkultur, manche Stilmerkmale und das Bewusstsein für Identitätskonstruktion. Aber auch Intertextualität in die andere Richtung, nämlich den späteren Versuch, Musikterminologie aus Finnland (übersetzt) in der deutschen Fachgemeinschaft einzuführen, kann der Autor feststellen.

Benjamin Schweitzer, der nicht nur beide Sprachen spricht und selbst sowohl als Linguist als auch als Komponist tätig ist, hat eine unglaublich quellenreiche und qualitativ höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Arbeit vorgelegt und die Jury auf eine äußerst inspirierende und perspektivenreiche Reise zu Musikkultur und -kommunikation im finnisch-deutschen Kontext mitgenommen, die von weiteren Forschenden fortgesetzt werden kann.

Was es mit dem „arktischen Sinfoniehass“ auf sich hat und welche (weiteren) Komponisten in der Arbeit vertreten sind, kann u.a. in seiner Dissertation nachgelesen werden, die voraussichtlich Ende März Open Access erscheint und somit frei verfügbar ist: Benjamin Schweitzer, Finnische Musikfachsprache. Geschichte, Strukturen, Diskurse. Diskursmuster / Discourse Patterns 37. Berlin, Boston: De Gruyter 2025.

Prof. Dr. Sandra Reimann, Vorsitzende des Forschungsausschusses der Aue-Stiftung