Robert Seitovirta: Deutsche Bibliothek Helsinki – 140 Jahre Tradition, Bildung und Kulturaustausch

Am 4. Mai 1881 übergab ein Lesering, bestehend aus 12 deutschsprachigen Familien aus Helsinki, seine Bücher an die Deutsche Gemeinde. Zwei Wochen später wurde in der Gemeindeversammlung beschlossen, dass diese Sammlung als Basis bei der Gründung einer Bibliothek dienen soll. Diese etwa fünfzig Bücher sind in 140 Jahren zu einer Sammlung von über 44.000 Büchern angewachsen und bilden heute den Bestand der Deutschen Bibliothek in Helsinki.

Die Deutsche Bibliothek ist die einzige deutschsprachige Auslandsbibliothek auf der Welt. Sie wird vom finnischen Unterrichtsministerium sowie den Botschaften der deutschsprachigen Länder unterstützt. Zudem wird die Bibliothek von Firmen und Privatsponsoren gefördert. Sie hat rund 300 Mitglieder und gibt jährlich das Jahrbuch für finnisch-deutsche Literaturbeziehungen, eine wissenschaftliche Publikation, heraus. Trotz ihres starken wissenschaftlichen Profils und einer weiten Sammlung an Fachliteratur aus dem Bereich der Literatur- und Sprachwissenschaften sowie Wörterbüchern bietet die Bibliothek auch Klassiker und einen ständig wachsenden Anteil an aktueller Belletristik sowie Kinder- und Jugendbücher an. Die Bibliothek verfügt auch über eine einzigartige Fennica-Sammlung, zu der alle aus dem Finnischen ins Deutsche übersetzten und auf Deutsch über Finnland geschriebenen Bücher gehören.

Die Digitalisierung im Bibliothekswesen fasst global stark Fuß, wobei vor allem Finnland als vorbildlich beschrieben werden kann. Es sagt einiges über das Ansehen von Bibliotheken in Finnland aus, dass ihre Basisfunktionen während der ‚Lockdowns‘ der Covid-19-Pandemie, d.h. das Reservieren und Ausleihen von Büchern, gesichert wurde. In Finnland wurden im Jahr 2021 insgesamt 64 413 442 Bücher ausgeliehen. Physische Bibliotheksbesuche gab es im ganzen Land insgesamt 32 224 259 – eine ziemlich große Menge für ein Land mit 5,5 Millionen Einwohnern. Zwar entfiel ein Teil der Besuche etwa in der Nationalbibliothek auf Gruppenführungen und Besuche von Touristen, dennoch reden die Statistiken Klartext: Bibliotheken haben eine enorm wichtige Funktion als öffentliche Institutionen in Finnland. Sie sind ein Ort für Studierende, Wissbegierige, Familien mit Kleinkindern, Rentner*innen und Forscher*innen, für leidenschaftliche Leser*innen und für Besucher*innen von Veranstaltungen, oder auch nur zum Zeitvertreib dar.

Auf diese Zahlen kann jeder in Finnland stolz sein. Wir sind ein Land, in dem viel und vielseitig und mehrsprachig gelesen wird. Sonderbibliotheken, wie die Deutsche Bibliothek, bilden einen integralen Teil dieses Netzwerkes von Bibliotheken, und nicht nur für die etwa 6 000 Deutschsprachigen in Finnland. Über die Fernleihe können die Bücher der Deutschen Bibliothek im ganzen Land ausgeliehen werden. Dadurch erfüllt die Deutsche Bibliothek die Aufgabe, zu der sie da ist – eine öffentliche Institution zu sein für alle, die sich für die deutsche Literatur, Sprache und Kultur interessieren.

Robert Seitovirta

Robert Seitovirta (*1988) ist seit Oktober 2021 Bibliotheksdirektor der Deutschen Bibliothek Helsinki. Im Sommer 2022 wird Seitovirta an der Universität Helsinki über das Thema sprachliche und nationale Identitäten in deutschsprachiger Literatur promovieren. Zuvor hat er in den Stadtbibliotheken in Helsinki und in der Akademischen Buchhandlung als Teamleiter und Sales Coach gearbeitet.

Literatur

Deutsche Bibliothek Helsinki: 125 Jahre Deutsche Bibliothek Helsinki : 1881 – 2006 ; „… geräuschlos unberechenbare Zinsen spenden“. Helsinki: Aue-Stiftung 2006.  

Statistiken: https://tilastot.kirjastot.fi/