Annika Teitge: Kultureller Austausch durch Freiwilligendienst

Moi! Ich bin Annika und arbeite als Freiwillige in Tapola. Tapola ist ein Projekt im Süden Finnlands, in dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammen leben und arbeiten. Die Menschen in Tapola versorgen sich größtenteils selbst und arbeiten in verschiedenen Werkstätten in den Bereichen Landwirtschaft, Handwerk und Hauswirtschaft.

Seit mittlerweile mehr als drei Monaten habe ich das Glück, einen Freiwilligendienst in Finnland zu absolvieren. Ich bin der Aue-Stiftung dankbar, die dies mit ihrer großzügigen Spende mit ermöglicht hat. Ich versuche, seit ich hier bin, aufmerksam und offen zu beobachten, welche Unterschiede zwischen der finnischen und der deutschen Kultur bestehen. Dies herauszufinden ist gar nicht so einfach, wie ich zu Anfang erwartet hatte. Da ich aus Hamburg komme, ist schon die Erfahrung hier in Finnland in einem kleinen Dorf zu leben etwas sehr Neues für mich. Noch dazu lebe und arbeite ich in einer anthroposophisch ausgerichteten Einrichtung. Daher ist es für mich manchmal gar nicht so einfach auseinanderzuhalten, was jetzt „typisch Dorf“, „typisch anthroposophisch“ oder tatsächlich „typisch finnisch“ ist. Vielleicht ähnelt mein Leben in Hamburg mehr dem Leben einer Person in Helsinki, als dem eines Menschen, der in Deutschland auf dem Dorf lebt. Ich frage mich oft, wie sehr sich Kulturen auf Länder oder Gebiete begrenzen lassen.

Es gibt natürlich trotzdem Dinge, die für mich ziemlich eindeutig finnisch sind. Zum Beispiel, dass fast in jedem Haus eine Sauna zu finden ist. Egal ob in Wohnhäusern oder den zahlreichen kleinen Seehütten, man findet sie eigentlich überall. Das Saunieren ist hier etwas, das einfach zum Alltag dazu gehört. Da kennt man hier auch keine Scham. Plötzlich sitzt man mit Arbeitskolleg_innen nackt in der Sauna oder auch mit Menschen, die man fast gar nicht kennt. Die Trennung nach Geschlechtern scheint allerdings wichtig zu sein. Auch ich wurde vom Saunafieber schon angesteckt und gehe mindestens zweimal in der Woche in unsere kleine Holzsauna. Ich kann mir gar nicht vorstellen, in Deutschland wieder darauf zu verzichten.

Angesichts des kalten und langen Winters ist es aber auch kein Wunder, dass die Sauna so beliebt ist. Selbst im Süden Finnlands herrschten schon im Dezember Temperaturen von bis zu -20 Grad. Diese Kälte war für mich sehr ungewohnt und ich habe gelernt, dass es wichtiger ist, sich warm zu halten als gut auszusehen.

So dunkel wie erwartet ist der Winter bis jetzt allerdings nicht. Durch den Schnee wirkt die Welt in den Sonnenstunden hell und gerade bei besonders frostigen Temperaturen kann man oft bildschöne Sonnenauf- und untergänge erleben. Ein so extremer Winter ist ganz neu für mich und ich bin noch immer fasziniert davon, wie schön der Schnee glitzert und wie hübsch die Schneeflocken sind.

Das Klischee von den schweigsamen Finn_innen kann ich nicht ganz bestätigen. Ich glaube zwar, dass die Menschen hier kein ganz so großes Verlangen haben, Gesprächslücken zu füllen wie dies vielleicht in Deutschland der Fall ist. Trotzdem trifft man auf viele offene und mitteilungsfreudige Leute. Es ist für mich eine Bereicherung zu lernen, mit Momenten des Schweigens umzugehen. Außerdem ist es für mich interessant zu hören, dass viele Finn_innen nach innen glücklich und zufrieden sind, ohne dies unbedingt allen zu zeigen.

Ich bin der Meinung, dass die Menschen hier noch direkter sind als die Deutschen. Vieles wird einem sehr ehrlich aber trotzdem höflich vermittelt. Manchmal kann einen diese Ehrlichkeit etwas überrumpeln, aber eigentlich finde ich es erfrischend, dass man so offen miteinander kommuniziert.

Wie gerne die Finn_innen aber auch mal ihre Ruhe haben, sieht man an den vielen abgelegen kleinen Ferienhütten an den zahlreichen finnischen Seen. Ich glaube, dass es vielen Finn_innen gefällt, sich dorthin zurückzuziehen und die wunderschöne finnische Natur zu genießen. Ich finde es toll, dass es in Finnland so viele Nationalparks gibt, in denen jeder und jede campen kann und wo es überall Feuerplätze und Wanderwege gibt.

Durch Finnland zu reisen, ist allerdings nicht immer billig. Auch der Alkohol ist teuer. Die Lebensmittelpreise sind allerdings ähnlich wie in Deutschland. Ich habe den Eindruck, dass die Finn_innen sich ziemlich gesund ernähren.  Morgens gibt es zum Beispiel oft Getreidebrei oder Roggenbrot.

Ich hätte nicht gedacht, dass hier so viel Kaffee getrunken wird. Dieses Getränk gehört eindeutig zum Alltag der meisten Finn_innen und ich werde irritiert angeguckt, wenn ich keinen Kaffee möchte.

Ein großer Unterschied zu Deutschland ist wohl die Beziehung zum eigenen Land und zum Militär. In Finnland müssen alle jungen Erwachsenen entweder ein halbes Jahr zur Armee oder einen Zivildienst absolvieren. Die Einstellung dem Militär gegenüber ist meist positiv. Am 6.12. feiern die Finn_innen stolz ihre Unabhängigkeit, während wir in Deutschland Schokoweihnachtsmänner in unseren Stiefeln finden. Diese Tradition gibt es hier nicht. In Finnland wird die Fahne gehisst und, wenn nicht gerade Corona ist, lädt der Präsident oder die Präsidentin Bürger_innen in den Palast ein. Dies wird landesweit im Fernsehen ausgestrahlt. Außerdem findet eine nationale Soldatenparade statt. Während Militär und auch Patriotismus in Deutschland grundsätzlich weniger positiv besetzt sind, steht es hier zunehmend für Freiheit, Stärke und Unabhängigkeit. Obwohl ich verstehe, woher diese Unterschiede kommen, war es für mich doch etwas befremdlich, diese Tradition zu beobachten.

Für mich gibt es in den nächsten Monaten noch viel zu entdecken und ich freue mich schon einmal, nach Lappland zu reisen, eine finnische Sommernacht in einem Nationalpark zu verbringen und ein Eishockeyspiel zu besuchen. Eishockey ist hier das, was in Deutschland wahrscheinlich der Fußball ist. Ich erhoffe mir, nach meinem Jahr hier zumindest halbwegs flüssig Finnisch sprechen zu können. Diese doch sehr andere Sprache, in der die Wörter treffen und töten sich in konjugierter Form verdammt ähnlich anhören, kann einen manchmal zum Verzweifeln bringen.

Trotzdem eröffnen neue Sprachen einem auch immer eine neue Sicht auf die Welt und bilden die Gesellschaft ab. Kein Wunder also, dass es in der finnischen Sprache rund 40 verschiedene Wörter für Schnee gibt.

Annika Teitge