Dr. Dieter Hermann Schmitz: Dankrede anlässlich der Verleihung des Margarethe Aue-Preises am 18.3.2025 auf der Jubiläumsfeier zum 40-jährigen Bestehen der Aue-Stiftung

Dr. Dieter Hermann Schmitz. Fotograf: Markku Pajunen

Sehr geehrte Vorstandsmitglieder der Aue-Stiftung, liebe Johanna als die Geschäftsführerin, verehrte Exzellenzen und Ehrengäste, liebe Freundinnen und Freunde der deutschen Sprache und Kultur und des europäischen Gedankens,

ich muss zugeben, ein wenig in Verlegenheit geraten zu sein, als ich davon erfuhr, bei dieser Gelegenheit ein paar Worte an das Publikum richten zu dürfen. Zwar kann ich von mir behaupten, gewisse Erfahrungen mit Vorträgen oder Lesungen zu haben. Aber die Gelegenheit einer Preisverleihung ist doch eine ungewohnte und aufregende Situation für mich! Aus dieser Unsicherheit habe ich zu einem Hilfsmittel gegriffen – zu Künstlicher Intelligenz. Einem KI-Programm hatte ich folgende Arbeitsanweisung gegeben:

Schreibe mir eine Dankesrede aus Anlass der Verleihung des Margarethe Aue-Preises. Der Rahmen ist ein Festakt mit vielen hohen Gästen. Die Rede sollte nicht zu lang und im Idealfall geistreich und ein wenig witzig sein.

Innerhalb von Sekunden wurde mir eine Rede ausgespuckt, die etwa 300 Wörter lang war. Ich werde diese Rede hier nicht vorlesen, möchte aber kurz beschreiben, wie sie aufgebaut war: Nach einer Begrüßung gab es einen ersten Abschnitt, in dem Dank ausgesprochen wurde. Im zweiten Abschnitt wurde die Überraschung beschrieben, die ich empfand, als ich erstmals von dieser Auszeichnung erfuhr. In einem Mittelteil wurde Margarete Aue als bemerkenswerte Persönlichkeit beschrieben, als Visionärin und überzeugte Europäerin. Anschließend wurde erneut Dank ausgesprochen, diesmal an Kollegen und Freunde, die mich während der vergangenen Jahre unterstützt und mit mir zusammengearbeitet haben. Im letzten Abschnitt wurde betont, dass diese Preisverleihung kein Endpunkt sei, sondern Ansporn und Startschuss für eine dynamische Zukunft und viele weitere aktive Jahre. Dann folgte noch eine Schlussformel.

Beim ersten Lesen war ich beeindruckt, wie gut die Rede war. Sie war wohlformuliert und sie enthält all die Gedanken, die mir bereits diffus durch den Kopf gegangen waren, ohne mir schon ausformuliert auf der Zunge zu liegen: mein tief empfundener Dank und meine völlige Überraschung – ich hatte anfangs tatsächlich geglaubt, ich hätte eine falsche Mail erhalten. Auch meine Ehrerbietung und mein Respekt gegenüber der Aue-Stiftung und ihren Gründern kam zum Ausdruck, ebenso meine Verbundenheit mit Vereinskameraden und Kollegen, mit denen ich in den vergangenen Jahren vieles an Kulturveranstaltungen organisieren und durchführen konnte und von denen der eine oder die andere genauso gut heute Abend hier hätten stehen können.

Auf der anderen Seite wirkte dieser KI-generierte Text blutleer. Ohne persönliche Note. Vielleicht weil alles so erwartbar war. Vielleicht weil man ihm anmerkte, nach bekannten Mustern

zusammengebaut zu sein. Zur Ehrenrettung der KI muss ich allerdings sagen, dass besagter Text wohl nur eine erste Fassung gewesen war, denn ich bekam mehrere Nachfragen gestellt.

Die KI wollte wissen,

· ob die Rede kürzer oder länger sein solle

· ob die Stilebene angepasst werden müsse

· und ob ich nicht noch eine Anekdote aufschreiben könne, die man dann in die Rede einbauen würde.

Ja, Anekdoten, dachte ich! Sie sind im Fluss der Ereignisse – oder besser: im Strom des Vergessens – die kleinen Perlen an Erinnerungen, die hängenbleiben. So zerbrach ich mir eine Weile den Kopf auf der Suche nach einer passenden Anekdote. Mir fielen aber zunächst nur all die Veranstaltungen und Begegnungen ein, die ich mit Freunden und Vereinskameraden, respektive Freundinnen und Vereinskameradinnen, organisieren durfte. Diese vielen Veranstaltungen waren jedoch glücklicherweise alle glatt verlaufen: ohne Pannen, ohne Verwechslungen, ohne Versprecher, ohne Holprigkeiten …

Literaturwissenschaftlich ließe sich eine Anekdote ja definieren als ein humoristischer Kurztext mit einer unerwarteten Wendung, ähnlich wie wir es von Witzen kennen. Aber anders als Witze beruhen Anekdoten auf wahren Begebenheiten und sie sollen etwas Typisches oder Charakteristisches veranschaulichen. Irgendwann fiel mir dann unsere kleine Vereinszeitung ein, die wir in Tampere herausgeben. In dieser Vereinszeitung gibt es für gewöhnlich die Rubrik Kindermund, finnisch: Lasten suusta. Und ich möchte hier einen Kindermund-Spruch wiedergeben, den meine Frau Eija und ich vor vielen Jahren für diese Rubrik beigesteuert haben. Er stammt von unserer Tochter Sofia, die mittlerweile eine erwachsene junge Frau ist. Entsprechend alt ist dieser Spruch, denn Sofia war damals erst drei oder vier Jahre alt.

Folgendes hat sich zugetragen:

Wir waren bei finnischen Verwandten in Süd-Österbotten, Etälä-Pohjanmaa, zu Besuch und ich spielte an einem schönen Sommertag mit unserer Tochter im Sandkasten. Unsere Kinder sind zweisprachig aufgewachsen, und ich spielte mit unserer Tochter auf Deutsch. Sofia benutzte jedoch immer ein Wort auf Finnisch, und zwar für ein kleines Sandkasten-Spielzeug, einen Traktor. Den bezeichnete sie immer auf Finnisch mit traktori – also mit einem schönen gerollten finnischen Zungenspitzen-r und einem Endungs-i hinten dran. Irgendwann fiel ihr auf, dass meine Aussprache, Traktor, sich von ihrer unterschied. Und sie fragte mich interessiert: „Vati, wer sagt traktori?“

Meine schulterzuckende Antwort war: „Na, die Finnen. Die Finnen sagen traktori.“

Daraufhin wollte sie wissen: „Wer sind Finnen?“

Statt mit einer komplizierten Definition versuchte ich es mit Beispielen: „Na, deine Großeltern hier, Mummi und Ukki, sind Finnen. Und all deine Vettern und Kusinen: Ari, Sami, Anu, Sarita …“

Und während ich all diese Namen aufzählte, brach unsere kleine Tochter in Tränen aus. Kleine Tränchen rollten ihre Wangen herunter. Und sie meinte mit großem Pathos: „Nein, das sind keine Finnen! Das sind Menschen!“

Warum ist diese Anekdote so schön?

Natürlich zunächst, weil wir als Erwachsene darüber herzhaft lachen können. Aber ich habe sie deshalb ausgewählt, weil sie uns etwas zeigen kann. Weil sie für etwas Tieferes steht. Wir bräuchten

alle etwas von dieser Unschuld und von dieser Unbedarftheit kleiner Kinder! Für die all die Lieben, um sie herum nichts anderes als Menschen sind, ohne sie zu kategorisieren und mit Etiketten zu versehen.

Und vielleicht ist dieser Spruch auch ein wenig symptomatisch für das, was wir auf lokaler Ebene in den Finnisch-Deutschen Vereinen tun und was auch der Aue-Stiftung ein Anliegen ist: die Gemeinsamkeiten zu sehen, das Verbindende zu betonen – anstatt zu trennen und Unterschiede herauszukehren.

Meine Rede hat nun wahrscheinlich sehr viel länger gedauert, als wenn ich den KI-generierten Text vorgelesen hätte. Für das Überziehen der Zeit muss ich mich an dieser Stelle entschuldigen. Ich möchte schließen mit einem Dank. Nicht als Zitat eines „künstlichen Textes“, sondern aus voller Überzeugung und aus tiefstem Herzen. Danke für diesen Preis. Ich hoffe, dass ich seiner würdig bin.

Herzlichen Dank und suurkiitokset.

[Die Rede wurde mithilfe weniger Stichworte frei gehalten. Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine nachträgliche Verschriftung aus dem Gedächtnis. Es gilt das gesprochen Wort.]