Transparency International Deutschland – der Vortrag der Geschäftsführerin Dr. Mertens am 16.08.2018

Dr. Anna-Maija Mertens ist seit Dezember 2014 Geschäftsführerin von Transparency International Deutschland e.V. Von 2010 bis 2014 leitete sie das Finnland-Institut in Deutschland für Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft in Berlin. Beim Kulturabendessen des Aue-Stiftung-Beirates am 16.8.2018 hat Dr. Mertens den folgenden Vortrag über den Verein und seine Betätigung gehalten.

„Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,
liebe Sinikka,

ich möchte mich zunächst herzlich für die Einladung, hier im Beirat der Aue-Stiftung im Rahmen des diesjährigen Kulturabends über die Arbeit von Transparency International zu berichten, bedanken. Es ist für uns ein großes Anliegen, nicht nur unsere Arbeit im Kontext der Antikorruption zu verrichten und weiterzuentwickeln, sondern auch darüber zu berichten – nicht zuletzt, um die Menschen für unser Anliegen und die korruptionsbezogene Problematik der Gesellschaft zu sensibilisieren. Also nochmals herzlichen Dank für die Möglichkeit, hier vor den hochrangigen Beiratsmitgliedern aus Finnland, Deutschland, Österreich auch der Schweiz sprechen zu dürfen.

In meinen Ausführungen möchte ich mich auf drei Punkte konzentrieren, wobei es hier wesentlich um das Was, um das Warum sowie um das Wie geht: Was macht Transparency International? Warum ist die Antikorruptionsarbeit aus unserer Sicht so entscheidend? Und: Wie gehen wir konkret vor? Im Hinblick auf das „Wie?“ will ich Ihnen einige Beispiele unserer aktuellen Arbeit darstellen. Anschließend freue ich mich auf Ihre Fragen und Kommentare.

Zum ersten Punkt: Transparency International befasst sich mit Antikorruption. Unser Anliegen ist es, die Welt möglichst korruptionsfrei zu gestalten. Wir befassen uns allerdings nicht mit Einzelfällen, und das hat zwei Gründe: Zum einen haben wir keine Kapazitäten zu ermitteln – und das wollen wir auch nicht, weil wir keine Strafverfolgungsbehörde sind, obwohl wir mit den Strafverfolgungsbehörden sehr eng und gut zusammenarbeiten. Zum anderen ist es unser Ansatz, strukturell das Problem zu bekämpfen, auch, um mehr Wirkung zu erzielen. Somit verstehen wir uns als eine Art „Game Changer“: Wir wollen die Spielregeln der Gesellschaft zum Positiven verändern; dafür sorgen, dass sich Korruption in unserer Gesellschaft grundsätzlich nicht lohnt. Dafür brauchen wir gute Gesetze und auch andere Regelwerke, aber genauso dringend brauchen wir die Überwachung und die Umsetzung dieser guten Regelwerke.

Peter Eigen, der Gründer von Transparency International, verglich Korruption einmal mit einer kaputten Fahrradschlaufe. Wenn man ein Loch in der Fahrradschlaufe hat, kann man zwar – vorausgesetzt das Loch ist noch nicht zu groß – immer noch mit dem Fahrrad fahren, aber es muss immer wieder Luft nachgepumpt werden. Durch das ständig wechselnde Nachpumpen und Weiterfahren ist zwar das kurzfristige Funktionieren gesichert, das Loch jedoch wird dadurch stets größer. Das eigentliche Problem – das Flicken des Lochs – muss früher oder später angegangen werden, möchte man auch weiterhin, auch mittel- und langfristig, mit dem Fahrrad fahren.

So oder so ähnlich sah Peter Eigen die Situation 1993 auch in vielen Ländern Afrikas, wo er als Weltbank-Direktor tätig war. Er sah, dass die Entwicklungshilfegelder der damaligen Geberländer zu einem großen Teil nicht dort landeten, wofür sie bestimmt waren, sondern durch diverse Nebenflüsse der Finanzströme an verschiedene kleinere und größere Herrscher, die nicht selten durch ihr schlechtes Regieren selbst Schuld oder zumindest Mitschuld an der Misere der Bevölkerung hatten. Durch diesen Mechanismus des „Nachpumpens“ trugen die Entwicklungshilfegeber damals nicht nur nicht zur Lösung des Problems bei, sondern verfestigten sogar das Problem.

Das war damals noch die Zeit, als die außenpolitische Doktrin lautete „Wir mischen uns in die Angelegenheiten anderer Länder nicht ein“. Daher war es ein Ding der Unmöglichkeit, diese Situation von der Weltbank aus zu verändern. Daher gründete Peter Eigen mit einigen Weggefährten und Gleichgesinnten Transparency International und ist seitdem in diesem Movement, wie wir uns bezeichnen, aktiv.

Für die Arbeit von Transparency International sind zwei Prinzipien zentral: Zum einen geht es uns immer um die strukturelle Veränderung, wie bereits dargestellt, zum anderen arbeiten wir stets in Koalitionen. Der Koalitionsgedanke begründet sich einerseits durch die Einsicht, dass man die Welt nicht alleine verändern kann – auch Transparency International hat begrenzte Kapazitäten und weiß nur, was es weiß, was nicht genug sein kann. Andererseits ist Veränderung nur dann nachhaltig, wenn sie mit den Akteuren selbst vollzogen wird. Deshalb versuchen wir durch einen intensiven Dialog immer auch Einsicht der involvierten Akteure selbst bezüglich der Problemlage zu generieren, um dann gemeinsam an der Lösung zu arbeiten. Das gelingt uns natürlich nicht immer, nicht jeder ist bereit, die eigenen Probleme zu benennen oder anzugehen, das nehmen wir dann zur Kenntnis und müssen dann einen anderen Weg einschlagen. Aber der Weg des Dialogs ist immer der erste.

Nun möchte ich Ihnen drei konkrete Beispiele unserer Arbeit aufzeigen.

Das erste Beispiel macht deutlich, wie langwierig unsere Arbeit ist und welcher langer Atem für eine tatsächliche Veränderung notwendig ist. 2015 besuchte ich meinen Kollegen Anton Pominov von unserem russischen Chapter in Moskau. Anton war etwas verstimmt, weil just vor unserer Begegnung der Korruptionswahrnehmungsindex CPI von Transparency International erschienen war, der Russland ziemlich weit unten listete, während Deutschland unter den besten zehn rangierte. Er beschwerte sich über diese Darstellung; schließlich seien die russischen Korrupten nur so erfolgreich, weil die deutschen Finanzinstitute und weitere Einrichtungen ihnen beim Verstecken der Korruptionsgewinne gern behilflich seien. Und in der Tat: Laut den Einschätzungen des deutschen Bundeskriminalamtes werden in Deutschland jährlich ca. 100 Milliarden Euro, die aus kriminellen Quellen stammt, investiert und auf die unterschiedlichsten Arten „rein gewaschen“. Beliebt sind hierbei insbesondere Immobilien, Luxusgüter, Autos und der Kunstobjekte. Das Problem für die Strafverfolgungsbehörden war, dass wenn Vermögenswerte nach Deutschland transferiert wurden, ein Beweis für den kriminellen Hintergrund des Geldes vorliegen musste. Auch bei ganz klaren Verdachtsfällen und konkreten Hinweisen aus dem Ausland waren die Strafverfolgungsbehörden machtlos. Und da die Kriminellen ihre internationale Arbeitsteilung und gegenseitigen Hilfestellungen immer noch effizienter organisieren als die nationalen Strafverfolgungsbehörden, ist das Herbeischaffen vom Beweismaterial vom Ausland immer noch eine sehr große Herausforderung.

Zur gleichen Zeit als ich Anton in Moskau traf und kurz danach gab es in Berlin erste Überlegungen, um diesen Missstand zu beheben. Wir wurden recht frühzeitig in den Prozess miteinbezogen und unsere Juristen diskutierten mit den Vertretern der Politik, wie das aktuelle Gesetz geändert werden müsste, damit das finanzielle Versteckspiel für die Kriminellen nicht ganz so einfach wäre.

Es folgten weitere Beratungen und ganze zwei Jahre wurden die verschiedenen juristischen Optionen geprüft und diskutiert. Schließlich war das Ergebnis recht simpel: Im neuen Vermögensabschöpfungsgesetz wurde eine Art „Beweisumkehr“ verankert: Nicht die Strafverfolgungsbehörden mussten nachweisen, dass das Geld aus kriminellen Quellen stammte, sondern diejenigen, die das Geld investieren wollten, mussten die Herkunft des Geldes beweisen. Kleine Veränderung mit großer Wirkung: In Berlin wurden im vergangenen Monat 77 Immobilien von arabischen Clans konfisziert, da hier die Mittelherkunft nicht nachgewiesen werden konnte. Das war ein großer Erfolg gegen die organisierte Kriminalität in Berlin.

Im zweiten Beispiel wird unser Koalitionsgedanke deutlich. Im vergangenen Frühjahr wurden wir vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) kontaktiert. Der Anlass war der schlechte Ruf der Lobbyisten. Sie beklagten sich, dass, obwohl Lobbyismus zentraler Bestandteil der politischen Entscheidungsfindung ist – sogar im Grundgesetz im Art. 9 verankert! – die Lobbyisten immer noch in die Schmuddelecke der Gesellschaft verschoben würden. Die Gremien des VCI hätten über diesen Umstand beraten und seien dabei zu der Überzeugung gelangt, dass Transparenz hier als ein hilfreiches Mittel dienen könnte. Nun wollten sie mit uns kooperieren, um mit unserer Unterstützung einen transparenten Umgang mit Lobbyismus exemplarisch aufzuzeigen und dies von allen Lobbyisten in Deutschland zu fordern. Schließlich entstand ein gemeinsames Eckpunktepapier für einen transparenten Lobbyismus, das konkrete Forderungen an die deutsche Politik stellt, z.B. die Einrichtung eines Lobbyregisters und eines legislativen Fußabdrucks.

Mit dem VCI sind wir zwar nicht beste Freunde geworden – es gibt noch reichlich politische Themen, bei denen wir unterschiedlicher Ansichten sind und dies auch öffentlich kundtun – aber durch den Prozess ist deutlich geworden, dass es durchaus Sinn machen kann, auch über die ideologischen Grenzen hinweg Kräfte zu verbünden, um Veränderung zu bewirken. Als die Berliner Politik gemerkt hat, dass nicht nur die NGOs, sondern auch die Lobbyisten selbst – unter Beteiligung mächtiger Weltkonzerne – einen transparenteren Lobbyismus forderten, wurden auch die Konservativen Kräfte der deutschen Politik für das Thema aufmerksam. Nicht nur waren unsere Parlamentarischen Abende plötzlich überfüllt, auch ging die Sache politisch überraschend schnell – nach mehreren Jahren stillstand – voran. Und nun kursieren im Bundestag bereits erste Gesetzentwürfe zur Regelung des transparenten Lobbyismus.

Das dritte Beispiel zeigt, wie wir global versuchen, Gelegenheitsfenster zu nutzen und zu erweitern, um Korruption weltweit zu bekämpfen. 2015 wurden die Nachhaltigen Entwicklungsziele – Sustainable Development Goals, SDGs – in New York verhandelt. Transparency International war bei den Verhandlungen dabei und hatte es sogar geschafft, einen Platz am Verhandlungstisch zu ergattern. Bei diesen Verhandlungen ging es ja darum, festzulegen, welche die prioritären Bereiche der Nachhaltigkeit sind, und auf welche gemeinsamen Zielsetzungen die Weltgemeinschaft sich verständigen soll. Wie üblich bei solchen Verhandlungen, gab es auch hier großen Gerangel und einen großen Wettstreit der Interessen. Unser Interesse war ganz klar und nicht anders als von Peter Eigen bereits 1993 definiert: Eine nachhaltige Entwicklung ist ohne die Rechtsstaatlichkeit nicht möglich. Für die Prozesse, Strukturen und insbesondere die Finanzflüsse braucht es klare und verlässliche Vereinbarungen und Regelwerke, die auch umgesetzt und überwacht werden. Eine Entwicklung ist nicht nachhaltig ohne Korruptionsbekämpfung.

Obwohl wir recht bescheidene Mittel und namhafte Mitspieler und auch Kontrahenten hatten, ist es uns gelungen, ein sogenanntes „Stand-Alone-Goal“ in den Katalog der 17 Entwicklungsziele hineinzubringen: Das Ziel 16.5 benennt explizit Korruptionsbekämpfung; die 193 Staats- und Regierungschefs haben sich verpflichtet, ihre Anstrengungen in diesem Bereich zu erhöhen und Korruption substantiell zu verringern.

Dass die Staats- und Regierungschefs etwas vereinbaren, bedeutet ja lange noch nicht, dass diese Vereinbarungen auch eingehalten werden. Aber wir bei Transparency International haben eine besondere Möglichkeit, darauf hinzuwirken, dass die Vereinbarungen nicht in Vergessenheit geraten: Transparency International ist in 110 Ländern aktiv und betreibt dort Nationalbüros, sogenannte „Chapter“. Diese Chapter sind finanziell und organisatorisch vom internationalen Sekretariat unabhängig und beschäftigen lokale Experten. Das ist auch ihre größte Stärke: Sie kennen die jeweilige Kultur des Landes, ihre politischen Entscheidungsträger und erkennen am besten die Situationen, wo man etwas verändern kann – oder aber auch, wo es gefährlich – mitunter zu gefährlich werden kann. Zu dem Zeitpunkt, wo die Staats- und Regierungschefs der 193 Länder sich auf die nachhaltigen Entwicklungsziele und somit auch für die Korruptionsbekämpfung verpflichtet haben, haben die nationalen Chapter von Transparency International ihre jeweiligen Regierungen kontaktiert. Sie haben ihren Regierungen für die weisen Zielsetzungen gratuliert und gefragt, ob sie hinsichtlich des SDG 16.5 irgendwie noch behilflich sein können. Unsere Zielsetzung ist natürlich, dass das Ziel 16.5 im Kontext des Gesamtziels 16 – Frieden und Gerechtigkeit – prioritär behandelt wird. Daher wollen wir den Druck für die Umsetzung aufrechterhalten und – wenn nötig – noch etwas erhöhen. Die Staats- und Regierungschefs sind angehalten, in regelmäßigen Abständen vor dem UN zu berichten, wir wollen darauf bewirken, dass auch und insbesondere über das Ziel 16 berichtet wird. Und viele nationale Chapter von Transparency International machen bereits sogenannte „Shadow Reporting“ über die korruptionsrelevanten Zielsetzungen; manche nationalen Regierungen neigen ja dazu, die Realitäten etwas zu verschönern. Diese ergänzende Berichterstattung soll zu einem ganzheitlicheren und ggf. etwas realitätsnäheren Bild beitragen.

Sie sehen, die Aktivitäten von Transparency International sind vielfältig, aber oft sehr langwierig. Sie sehen uns nur selten auf den Straßen der Hauptstädte unsere Forderungen rufen, stattdessen bevorzugen wir den Weg des Dialogs und des besseren Argumentes. Erst dann, wenn keine Einsicht oder kein Wille für Veränderung vorhanden ist, gehen wir den Weg über die Öffentlichkeit.

Wir brauchen Alliierte und Weggefährten. Deshalb hat es mich sehr gefreut, heute Ihnen hier im Rahmen des Kulturabends der Aue-Stiftung vortragen zu dürfen, wofür ich mich herzlich bedanke. Vielleicht sehen Sie die eine oder andere Gelegenheit, mit uns stückweit zusammenzulaufen – ich würde mich darüber sehr freuen. „