Matti Fischer: Die Kirche im gesellschaftlichen Diskurs

Nach sechs Jahren geht meine Zeit als Pastor der Deutschen Gemeinde in diesem Sommer zu Ende. Zum Teil meines Dienstes gehörte all die Jahre auch die Arbeit im Vorstand der Aue-Stiftung.

Theodor Aue war Mitglied unserer Gemeinde und viele Jahre aktiv in ihren Leitungsgremien. Für ihn war es ein wichtiges Signal bei der Gründung der Stiftung, dass auch die Stimme der Kirche und der Theologie in ihr zu hören sein wird. Und das nicht nur als eine Stimme aus den Tiefen der Geschichte.

Es ist interessant zu beobachten, wie schnell in den Debatten unserer Zeit die Seite der Kirche meist in ihrem historischen Kontext zur Sprache kommt. Wenn es um das Vergangene, manchmal auch um das zu Überwindende geht, dann ist schnell von der Kirche die Rede. Noch immer klingt da ein Geist durch, der meint, es wäre ein besonderer Ausdruck von Rebellion und Modernität, sich gegen kirchliche Positionen zu stellen. Das hat in vielen Debatten sicherlich seine Berechtigung. Aber allzu oft sind es weniger klare Argumente im besten Sinne der Aufklärung, sondern ein intellektuell recht schlichter Habitus, der reflexhaft gegen das angeht, was aus Richtung der Kirche und der Theologe zu hören ist.

Nun ist es wenig überraschend, dass ich als Vertreter der Kirche bei Kritik gegen sie sensibel bin. Und ich bin mir bewusst, wie schnell dann der Eindruck entsteht von jemanden, der schon lange abseits des Spielfeldes steht, aber die ganze Zeit verzweifelt mit den Armen winkt und ruft: „Ich will aber auch noch mitspielen.“

Die Kirche hat an Bedeutung verloren und wird das auf absehbare Zeit weiter tun. In Deutschland erleben wir in diesem Jahr eine Zäsur: Zum ersten Mal in der Geschichte sind weniger als 50% der Bewohner*innen in der Kirche. Und diese Entwicklung wird weitergehen. In Deutschland und in Finnland.

Es ist deshalb auch so befremdlich, wenn Vertreter*innen der Kirche immer noch auftreten, als ob sie selbstverständlich die Mehrheitsmeinung der Gesellschaft vertreten. Das ist heute nicht mehr der Fall und ist es schon seit vielen Jahren nicht mehr. Weder in Deutschland noch in Finnland. Mit dem Habitus des Staatstragenden muss so schnell wie möglich Schluss sein.

Ich denke aber, dass darin für uns als Kirche auch eine große Chance liegt. Zum einen hat es der Kirche in den Jahrhunderten ihrer Existenz zu keinem Zeitpunkt gutgetan, wenn sie sich vor allem über ihre Macht und Stärke definierte. Wirksam und authentisch war sie meist dort, wo sie aus einer Position der Schwäche heraus handelte. Wenn sie, theologisch gesprochen, vom Kreuz her handelte.

Zum anderen entsteht eine neu (und eigentlich sehr alte) Freiheit im Handeln und Reden, wenn man aus einer Minderheitenposition heraus agiert. Man wird manchmal auf neue Art und Weise ernst genommen. Am Hof des Tyrannen ist der Hofnarr oft der letzte, der noch die Wahrheit sagen kann.

Entscheidend dabei ist, dass die Theologie und mit ihr die Kirche in aller Klarheit bei ihrer Sache bleibt. Ihre Stimme wird gehört, wenn sie sich zutraut, anders zu reden als die Mehrheit. Die Kirche, die versucht, ihren vermeintlichen Verlust an Einfluss dadurch wettzumachen, dass sie nur noch so redet wie alle anderen, wird ihre letzten Chancen vertun, im gesellschaftlichen Diskurs Gehör zu finden. Aber eine Kirche, die bei ihrer Sache, und das heißt bei Gott bleibt, die wird durch ihr Handeln und durch ihr Reden immer eine wichtige Rolle spielen. Auch für die, die meinen, mit Gott nichts mehr am Hut zu haben.

Theodor Aue wusste das damals, als er die Stiftung gründete, nur zu gut. Es war eine andere Zeit. Eine Zeit, in der gerade hier in Finnland eine Minderheitenkirche noch nicht mal am Horizont zu erkennen war. Aber Theodor Aue legte damals schon fest, dass die Stimme der Kirche in der Stiftung auch zukünftig zu hören sein wird. Und das wird allen Seiten guttun.

Matti Fischer

Matti Fischer ist bis Sommer 2022 Hauptpastor der Deutschen Gemeinde in Finnland und in dieser Rolle auch Mitglied des Vorstands der Aue-Stiftung.