Sabine Grasz: Deutschsprachig(e) im Norden Finnlands

Im Projekt DNFi-Deutschsprachig(e) in Nordfinnland – Sprachliche Identitäten, mehrsprachige Praktiken und Spracherhalt in der Peripherie werden Sprachbiografien deutschsprachiger Menschen, die im Norden Finnlands (Nordösterbotten, Lappland und Kainuu) leben, gesammelt und analysiert. Ziel des Projekts ist es, ihre Integration in privater, gesellschaftlicher und vor allem sprachlicher Hinsicht zu untersuchen und damit einen Beitrag zur Erforschung finnisch-deutscher Beziehungen zu leisten. Eine wichtige Frage ist, wie sich das Leben außerhalb großer Städte auf die Integration auswirkt und welche besonderen Herausforderungen sich dadurch ergeben. Migration wird zumeist im Kontext von Metropolen untersucht. Doch in der Forschung wird mehr und mehr betont, dass Migration und die damit verbundene Mehrsprachigkeit heute viele soziale Gemeinschaften unterschiedlicher Größe beeinflussen. Während man in Großstädten auf eine längere Erfahrung im Umgang mit anderssprachigen Menschen zurückschauen kann, ist das in peripheren Regionen oft noch ungewohnt. Da ist es für Migrant/innen außerdem nicht immer einfach, die eigene Muttersprache zu erhalten und sie innerhalb der Familie weiterzugeben, denn es fehlen zumeist Vereinigungen, Schulen, Spielgruppen etc., wo Deutsch verwendet werden kann.

Der Norden Finnlands, besonders Lappland, ist mit der samischen Bevölkerung und den vielfältigen Sprachkontakten zu den Nachbarländern durchaus mehrsprachig geprägt. Aufgrund der ökonomisch-sozialen Situation spielen jedoch Bildungs- und Arbeitsmigration eine relativ geringe Rolle. So lag der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Jahr 2021 in Nordösterbotten, Lappland, und in Kainuu bei ca. 3,5 % – im Gegensatz zu 8,5 % in ganz Finnland (Statistics Finland: StatFin). In den letzten Jahren haben sich jedoch auch in diesen Regionen vermehrt Migrant/innen, darunter viele deutschsprachige Menschen, niedergelassen. Obwohl Deutschsprachige nicht mehr zu den größten sprachlichen Minderheiten in Finnland gehören, machen sie eine – nicht zuletzt aus historischer Sicht – bedeutungsvolle Sprachgruppe aus. Laut Statistics Finland lebten 2021 7258 Menschen mit Deutsch als Erstsprache in Finnland, dazu kommen noch viele mit Deutsch als Zweitsprache, die nicht statistisch erhoben werden. Die meisten davon wohnen im dichter besiedelten Süden und in der Hauptstadt Helsinki, einige Tausende aber auch in anderen Regionen. In Nordfinnland wohnten im Jahr 2021 insgesamt 595 Personen mit Deutsch als Erstsprache, die meisten davon in Lappland (280), gefolgt von Nordösterbotten (271) und Kainuu (44).

Bild: Kimmo Kuortti

Interessant ist, dass in Lappland, im Gegensatz zu den beiden anderen Regionen, die deutschsprachige Bevölkerung nicht nur im Verwaltungs- und Ausbildungszentrum Rovaniemi anzutreffen ist, sondern darüber hinaus die Tourismuszentren Inari, Muonio und Kittilä über eine relativ große Anzahl von deutschsprachigen Bewohner/innen verfügen. Das lässt den Schluss zu, der sich in den Interviews bestätigte, dass die Attraktivität des Wohnorts nicht nur von Arbeitsmöglichkeiten in internationalen Firmen oder Hochschulen, die sich vorrangig in den Städten Oulu, Rovaniemi und Kajaani befinden, abhängt. Besonders in Lappland gibt es viele, die wegen der Natur oder der Exotik des Nordens gekommen und geblieben sind. Bei anderen ist wiederum eine finnische Partnerin bzw. ein finnischer Partner der zentrale Grund für die Wahl des Wohnorts. Es finden sich aber auch Migrant/innen ohne besonderen Finnlandbezug zum Zeitpunkt des Umzugs. Der Norden Finnlands ist auch aus historischer Sicht interessant. Ein Umstand, den viele der deutschen und österreichischen Migrant/innen in den Interviews reflektieren. Der Lapplandkrieg ist ein Thema, das immer wieder in den Gesprächen mit den Einheimischen angesprochen wird, wobei alle Interviewten betonen, dass sie keinen oder nur wenigen Vorbehalten oder negativen Konfrontationen begegnet sind.

Ein zentrales Thema bei den Interviews ist der Erwerb der finnischen Sprache. Diesen beschreiben viele der Interviewten als anstrengend, obwohl die meisten Finnisch über die Jahre gut gelernt haben. Das Leben auf dem Land hat unterschiedliche Auswirkungen auf den Spracherwerb. Einerseits kann es besonders am Anfang ohne besondere Vorkenntnisse schwierig sein, da die Kommunikationsmöglichkeiten sehr eingeschränkt sind und es nur ein geringes oder gar kein Angebot an Finnischunterricht gibt. Andererseits wird von vielen Interviewten als positiv beschrieben, dass sie gezwungen waren, von Anfang an auf Finnisch zu kommunizieren. Es gab einfach nicht die Möglichkeit, Deutsch oder Englisch zu sprechen oder sich in eine internationale „community“ zurückzuziehen, wie das oft in großen Städten der Fall ist. Diese Erfahrung haben vor allem ältere Migrant/innen gemacht, die vor 20 bis 40 Jahren nach Nordfinnland kamen. Die meisten Interviewten leben zu Hause, am Arbeitsplatz oder im Freundes- und Bekanntenkreis in einer mehrsprachigen Realität. Deutsch, Finnisch und Englisch, manchmal Schwedisch oder andere Sprachen, werden in unterschiedlichen Situationen genutzt und oft gemischt. Obwohl die meisten einen gewissen Verlust der Muttersprache Deutsch empfinden, wird Mehrsprachigkeit als Bereicherung gesehen, sowohl persönlich als auch für die Gesellschaft.

In den Interviews mit den jüngeren Migrant/innen zeigt sich die starke Internationalisierung der regionalen Zentren wie Oulu und Rovaniemi sowie der Tourismuszentren. Eine der Interviewten formuliert das auf folgende Weise: Eigentlich müsste man kein Finnisch lernen, um hier leben zu können, man könnte gut mit Englisch zurechtkommen. Aber für das Gefühl anzukommen und akzeptiert zu werden und für vielfältigere Chancen am Arbeitsmarkt sind Finnischkenntnisse weiterhin sehr wichtig bzw. sogar unbedingt notwendig.

Sabine Grasz

Sabine Grasz arbeitet als Universitätslektorin am Fach Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Oulu, wo sie zu Mehrsprachigkeit in verschiedenen Kontexten in Finnland forscht. Außerdem ist sie ein Lappland-Fan und verbringt ihre Freizeit so oft wie möglich in Muonio.

Wenn jemand in Nordfinnland wohnt und bereit ist, sich für das Projekt interviewen zu lassen, würde sie sich über eine Kontaktaufnahme freuen: sabine.grasz@oulu.fi