Hentilä & Korppi-Tommola: Seminarbericht

Ein Seminar am 23.11.2023 zu Ehren von Prof. emerita Marjatta Hietala zu ihrem 80. Geburtstag

Die Aue-Stiftung hat zusammen mit der Historischen Gesellschaft Finnlands und dem Verband der Freunde der Geschichte ein Jubiläumsseminar für Prof. em. Marjatta Hietala organisiert. Sie ist Professorin in Joensuu und danach an der Universität Tampere gewesen. Sie hat zur Ideen-, Stadt- und Innovationsgeschichte geforscht und hatte den Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte. Prof. Hietala hat während ihrer Karriere die finnisch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen gefördert und dadurch auch die Seminare und die Veröffentlichungstätigkeit der Aue-Stiftung unterstützt. Das Seminar wurde am 23.11.2023 im Haus der Wissenschaften in Helsinki abgehalten. Für die Programmgestaltung waren Prof. Aura Korppi-Tommola und Doz. Marjaliisa Hentilä verantwortlich. Als Redner wurden zahlreiche Doktoranden, von denen vier ihre Doktorarbeit auf Deutsch verfasst haben, und Kooperationspartner von Prof. Hietala eingeladen. Die Aue-Stiftung hatte Dr. Robert Schweizer zu dem Seminar eingeladen. Sein Vortrag behandelte direkt finnisch-deutsche Wissenschaftsbeziehungen und wird deshalb unten näher vorgestellt.

Es wurden einem zahlreichen Publikum viele interessante Vorträge geboten. Die Themen waren vielseitig: stadtgeschichtliche Forschung, Verbreitung von Innovationen, Frauen als Nobelpreisträgerinnen, das Schicksal estnischer Wissenschaftler während des Zweiten Welkriegs, das Wissenschaftszentrum Heureka in Vantaa und die Unesco-Prinzipien für die Welterbeauswahl. Die Rede von Prof. Benita Heiskanen zur Bedeutung von Geschichte für die heutige USA beschloss das Seminar, das von Prof. em. Aila Lauha lebhaft moderiert wurde.

Über die Jubilärin und ihre akademische Karriere sprach Prof. Aura Korppi-Tommola. Sie teilte mit, dass Prof. Hietala den ersten Kontakt zur deutschen Kultur schon in den 1950er Jahren hatte. Sie reiste als 16-jähriges Mädchen mit einer Delegation der Gemeinde Valkeala nach Bad Salzdetfurth und Hannover. Deutsch war ihre erste Fremdsprache, Englisch kam später dazu. Ihre Heimatstadt war Kouvola und sie besuchte das dortige Lyceum für Mächen. Dieses Gymnasium war im Jahr 1940 aus Wiborg nach Kouvola verlegt worden. Die Lehrer/innen kamen mit und haben weiterhin Viborgs Internationalismus an die Schülerinnen vermittelt.

Das Thema von Prof. Hietalas erster schriftlicher Arbeit in ihrem Geschsichtsstudium war das Tagebuch von Baronin Spitzenberg, und ihre erste akademische Abhandlung behandelte den Neunationalismus des Schriftstellers Ernst Jünger. Sie schrieb auch ihre Doktorarbeit über Ernst Jünger. Warum gerade der militaristische Ernst Jünger? Prof. Hietala erzählt, dass in den 1960er Jahren viel Friedensforschung betrieben wurde und Ernst Jünger hat genau das Gegenteil vertreten. Prof Hietala hat festgestellt, dass man Forschung zu allen Ideologien braucht, auch über die gegensätzliche Erscheinungen. Marjatta Hietala hat ihre Doktorarbeit ”Der Neue Nationalismus in der Publizistik Ernst Jüngers und des Kreises um ihn 1920–1933” Ende 1975 verteidigt. Die Quellen für ihre Arbeit waren Ernst Jüngers militaristische und neunationalistische Veröffentlichungen wie auch seine Tagebücher und Zeitschriftenbeiträge. Prof. Hietala hatte auch die Möglichkeit, ihn in Wilfingen in Deutschland im Dezember 1969 zu interwieven.

Als Prof. Hietala in den 1970erJahren Stadtgeschichte erforschte, merkte sie, dass Deutschland im 19 Jahrhundert eine sehr wichtige Rolle in der Anwendung von neuen Innovationen und im Aufbau von städtischer Infrastuktur spielte. Das wird in ihrem Werk ”Helsinki – The Innovative City” dargestellt. Für ihre Stadtforschung war sie Gastforscherin am Institut für Vergleichende Geschichte in Münster. Deutsche Wissenschaftler und ihre Archive blieben ein Schwerpunkt ihrer Arbeit, und sie verweilte oft in Deutsschland für ihre Forschungen. Im Jahr 2017 wurde ihre grundlegende Untersuchung”Finnisch-Deutsche Wisssenschaftsbeziehungen”, in Berlin vorgestellt. Sie ist eine Veröffentlichung der Aue-Stiftung und des Finnland-Instituts in Berlin .

Prof. Hietala hat viele einheimische akademische und internationale Vertrauensposten innegehabt, u.a. sie ist Präsidentin der Internationalen Historikerkongresses gewesen. Sie hat mehrere akademische Preise bekommen, z.B. den Ehrenpreis der Finnisschen Wissenschaftsakademie 2017 und den Preis der Finnischen Kulturstiftung 2010. Sie ist Ehrendoktorin der Universität Stockholm.

Die ersten Forststudenten in Deutschland und die Anfänge der finnischen Forstlehre

Der erste Leiter des Forschungsausschusses der Aue-Stiftung, Dr. Robert Schweitzer, war zu Prof. Marjatta Hietalas Seminar als Redner von der Aue-Stiftung eingeladen. Prof. Hietala und Dr. Schweitzer kennen sich Jahrzehnte lang durch finnisch-deutsche Wissenschaftsseminare. Er referierte über die ersten finnischen Forststudenten in Deutschland. Seit 1857 studierten Finnen in der Forstakademie in Tharandt nahe Dresden. Ein paar Jahre später konnte man dort fast über eine Welle von finnischen Studenten sprechen. Im Wintersemester 1860/61 waren acht von den neuen Forststudenten Finnen. Das war ein Drittel der Aufgenommenen und die größte ausländische Gruppe. Der Vortragende fragte, wie es möglich war, dass das kleine Finnland mit so vielen Studenten dort vertreten war? Durch welche Beziehungen wurde dies bewirkt und wie wurde es finanziert? Diese Welle brach aber auch schnell ab. In den folgenden 50 Jahren waren es insgesamt nur zehn, also zwei finnische Studenten im Schnitt pro Jahrzehnt. Welche waren die Gründe für diese erstaunliche Entwicklung und für ein schnelles Abebben der Studentenzahl?

Im 18. Jahrhundert hatte Finnland angefangen, statt Teer Holz aus den Wäldern zu gewinnen. Holz und Bauholz wurde Finnlands Hauptexportartikel. Lars Gabriel von Haartman, der seit 1840 wie ein Premierminister Finnlands Wirtschaftspolitik lenkte, befürchtete die Erschöpfung der Wälder. Er hatte 1851 eine Forstoberverwaltung gegründet, schaffte aber nicht die Gründung einer Forstlehranstalt. Er machte einen neuen Vorschlag nach dem Krimkrieg 1854-1856, in einer Zeit der Reformen in Finnland. Haartman wurde von dem neuen Generalgouverneur Berg unterstützt. Als Deutschbalte hatte dieser eine hohe Meinung von den deutschen Landwirtschafts- und Forsthochschulen, die seine Landsleute regelmäßig besuchten.

Inzwischen wurde die Forstakademie Tharandt der beliebte Studienort der Finnen. Der Antrieb dafür war, dass sich der Direktor der Forstakademie, Freiherr Edmund von Berg, den Finnen Rabbe Zachris von Wrede, den designierten Forstchef Finnlands, in Tharandt kennenlernte. Von Wrede besuchte die Schule während seiner Studienreise. Als Folge wurde der Direktor für den Sommer 1858 vom Senat zu einer Inspektion der finnischen Wälder eingeladen. Gemäß seinem Bericht würde die Vernichtung der finnischen Wälder nicht eintreten, wenn dem Raubbau durch eine staatlich gelenkte und von wissenschaftlich ausgebildeten Beamten umgesetzte Forstpolitik Einhalt geboten würde. Der Senat bot den Studenten attraktive Stipendien an, und in Folge dessen pilgerten die meisten Forststudenten nach Tharandt. Ihr Intressse am Auslandsstudium ebbte aber ab, weil am 1.3.1862 das Forstinstitut in Evo bei Lammi eröffnet wurde. Zukünftig war ein Abschluss der Ausbildung in Evo Voraussetzung für den Eintritt in den finnischen Forstdienst. Zum Zweiten hatte Finnland inzwischen auch genügend Lehrkräfte für das Fach ausgebildet.

Dr. Schweitzer stellte in seinem Vortrag detailliert und höchst interessant dar, wie Finnland einen Ausweg aus den Problemen seiner Forstwirtschaft und Abhilfe für den Mangel an Kräften für die höhere Lehre in der Forstwissenschaft im Ausland gesucht hat und wie das einheimische Institut gegründet wurde. Damit verhinderte man auch ein Abwandern der Fachleute ins Ausland. Aber weiterhin machten die Forststudenten viele Fortbildungsreisen ins Ausland. Die Heimholung der Forstwissenschaft hatte das Fach nicht provinzialisiert, stellt Dr. Schweitzer fest. Er sieht sein Thema als eine Erfolgsgeschichte des Faches an. Die forstwissenschaftliche Ausbildung ist dann im Jahr 1908 an die Universität Helsinki verlegt worden.

Prof. Aura Korppi-Tommola, Mitglied im Vorstand des Verbandes der Freunde der Geschichte

Doz. Marjaliisa Hentilä, Mitglied im Wissenschaftsausschuss der Aue-Stiftung