Karl-Wolfgang Eschenburg: Glühwein für Kotka

Lieber unbekannter Leser, liebe unbekannte Leserin,

mein Name ist Karl-Wolfgang Eschenburg, ich bin der Vorsitzende der Deutsch-Finnischen Vereinigung mit Sitz in Lübeck. Wir bemühen uns in erster Hinsicht um den Austausch und die Begegnung von Jugendlichen beider Länder. Das tun wir schon seit einigen Jahrzehnten. Unser Gründungsdatum liegt jedoch weiter zurück, ein Jahr nach der Gründung des Staates Finnland. Insofern sind wir heute eine bescheidene Organisation mit großer Vergangenheit.

Wenn man klein ist, und dann muss man sich etwas Besonderes ausdenken, wenn man denn Aufmerksamkeit erregen möchte. Das möchten wir gerne, zum Nutzen beider Länder.

Eine unserer Spielwiesen ist die Partnerschaft der Stadt Lübeck mit der Hafenstadt Kotka in Südfinnland. Diese Partnerschaft gibt es auch schon seit über 50 Jahren, aber nach Auskunft der Bürgermeister wäre es wünschenswert, dass sie mit mehr Aktivität und Intensität gefüllt wird. So haben wir im vergangenen Jahr eine Reihe von Projekten durchführen können, von einem möchte ich berichten.

Die Hansestadt Lübeck erhält zu Weihnachten von der Stadt Kotka einen großen Tannenbaum, der dann in Lübeck vor dem Holstentor geschmückt und aufgestellt wird. Ein Tannenbaum ist es allerdings nur unter dem Gesichtspunkt von Weihnachten, sonst ist es eine wun-derbar gerade gewachsene südfinnländische Fichte. Sie ist für unsere Stadt ein weithin sichtbares Zeichen der Zusammenarbeit und Sympathie aus Finnland.

In diesem Zusammenhang war nun die Frage erlaubt, welches Zeichen der Verbundenheit Lübeck denn nach Finnland, nach Kotka senden würde. Die Antwort war, Rotwein und Marzipan. Das waren schöne Geschenke, allerdings war die Sichtbarkeit nicht so groß wie die einer Tanne vor dem Holstentor. Wir überlegten also gemeinsam, was sich Kotka einerseits wünschen und vorstellen könnte und was andererseits die Hansestadt Lübeck bereit wäre, auch zu leisten.

Das erste war also ein Brainstorming, dabei kam heraus, das ist doch sehr schön wäre, wenn Kotka aus Lübeck Glühwein bekommen könnte. Ich habe das dann in Lübeck und im Vorstand vorgetragen, das Erstaunen war groß und die Skepsis ebenso. Glühwein nach Finnland zu fahren sei doch viel zu teuer und außerdem hieße es, Eulen nach Athen zu tragen.

Bei solchen Fragen überwiegen in der Regel die Skeptiker. Aber es gibt auch immer Menschen, die es schaffen, den Skeptikern Paroli zu bieten. Die Mitglieder unseres Vorstandes gehörten dazu. Auch hier gab es natürlich zunächst Bedenken, doch am Ende konnten diese überwunden werden. Allerdings mit einigen Voraussetzungen:

Die erste Voraussetzung bestand darin, dass kein Geld unserer Vereinigung in dieses Projekt fließen sollte. Das waren harte Bandagen.

Die zweite Voraussetzung bestand darin, bei etwas längerem Nachdenken, dass man den Glühwein ohne Alkohol nach Finnland schicken müsste. Alleine die Zollfragen, die damit aufgerufen werden würden, wären so schwierig, dass wir doch davon ablassen sollten. Außerdem sei es nicht unsere Aufgabe, die Volksgesundheit der Finnen auf die Probe zu stellen oder gar zu belasten.

Wir machten uns also an die Arbeit. Es galt die Finanzierung für ungefähr einen Betrag von 7.000 € zu zusammenzubekommen.

Die erste Frage dazu ging an die Hansestadt Lübeck, unseren Bürgermeister Jan Lindenau. Nach kurzem Zögern hatte er die öffentliche Wirksamkeit des Vorhabens verstanden und sagte einen Erstbetrag zu. Damit war es dann ziemlich einfach, auch Lübecker Kaufleute zu bewegen, sich der Aktion anzuschließen.

Die Kalkulation ging davon aus, dass in Kotka etwa 50.000 Menschen leben, davon sollte ein Drittel etwas von dem Lübecker Glühwein bekommen, und die Menge, die jeder so kalkulatorisch konsumieren sollte, wäre vielleicht 0,2 Liter. So kamen wir auf eine Gesamtmenge von rund 4.000 Litern, die zu besorgen und nach Kotka zu verschiffen seien.

Kalkuliert und getan. Wir hatten allerdings nicht bedacht, dass der Weihnachtsmarkt in Kotka nicht 14 Tage dauert, sondern 10 Stunden. Im Ergebnis sollte also diese Menge an einem Tag ausgetrunken werden, an zwei unterschiedlichen Standorten. Wenn wir das vorher gewusst hätten…

Eine weitere Frage bestand darin, ob denn der in Lübeck beschaffte alkoholfreie Glühwein (im EG Jargon Kinderpunsch genannt), ob dieser denn auch der finnischen Zunge gefallen könnte. Es musste also eine Verprobung stattfinden, zu der sich die Verantwortlichen in Kotka auch gerne bereit erklärten. Sie fand unter der Führung des Bürgermeisters am 3. Oktober des letzten Jahres statt, unterhalb der deutschen Flagge. Es war ja unser Nationalfeiertag. Funk und Fernsehen berichteten darüber. Es war die einhellige Meinung, dass dies ein gutes Getränk sei, für Finnland geeignet. Und es wurde beschlossen, dass die ursprünglich vorgesehene Möglichkeit, an einem separaten Stand auch etwas ”Schuss” zu bekommen, fallen gelassen werden sollte.

Der Tag der Veranstaltung, der Weihnachtsmarkt in Kotka, näherte sich, und damit auch meine Ängste, ob es nicht viel zu viel sei und vielleicht mehr als die Hälfte übrigbleiben könnte. Die Verantwortlichen konnten meine Sorgen dank exzellenter Organisation im Vorfeld zerstreuen.

Es wurde ein großer Erfolg. Die Hansestadt Lübeck hatte über 700 Becher beigesteuert, aus denen jeder Finne erkennen konnte, woher diese Köstlichkeit stammte. Dadurch wurde das Band zwischen Kotka und Lübeck noch sehr viel sichtbarer.

Der Vorstand unserer Vereinigung ist außerordentlich glücklich, dass wir dieses Projekt realisieren konnten. Die Vorgaben wurden eingehalten. Der Schreiber dieser Zeilen wird in den entsprechenden Kreisen seitdem gerne Mister Glühwein genannt.

Karl-Wolfgang Eschenburg

Bilder: Kotkan kaupunki / Stadt Kotka