Christian Niedling: Inklusive Sprache zwischen Sprachpolitik und kultureller Identität: Ein deutsch-finnischer Vergleich

(Festrede zur Jahresversammlung des Neuphilologischen Vereins am 14.03.2025, gekürzt)

Mitte Februar fand die Sicherheitskonferenz in München statt, auf der Vizepräsident JD Vance behauptete, die Meinungsfreiheit in Europa oder namentlich in Deutschland sei in Gefahr. Vance hat ausgerechnet die Abgrenzung demokratischer Parteien von der rechtsextremen und demokratiefeindlichen AfD als deutsche Einschränkung der Meinungsfreiheit kritisiert.

Was die Regierung Trump unter Meinungsfreiheit versteht, lässt sich an den aktuellen Änderungen nachverfolgen: Wichtige Plattformen wie Facebook nehmen sich jetzt Elon Musks „X“ zum Vorbild: Es finden keine Faktenchecks mehr statt. Falschinformationen werden in der Regel nicht gelöscht und in Zukunft sollen die Nutzer darüber abstimmen, ob Informationen wahr oder falsch sind. Im Trump-Kosmos erlebt die Meinungsfreiheit erhebliche Einschränkungen: Das Pressecorps für die Berichterstattung aus dem Weißen Haus wurde bereits aufgelöst und Donald Trump entscheidet jetzt, welche Medienvertreter direkt Zugang zu ihm haben.

Trumps aktive Behinderung der Meinungsfreiheit betrifft die amerikanischen Behörden und Universitäten — selbst hier in Finnland. Konkret geht es um eine schwarze Liste, auf der Begriffe stehen wie „Antirassismus“, „Diversität“, „weiblich“, „Ethnizität“ oder „Hassrede“. Die amerikanische „National Science Foundation“ filtert nun diese und andere Begriffe. Wenn sie in Projekten gefunden werden, kann die Projektfinanzierung durch den Staat gestoppt werden. Helsingin Sanomat schreibt:

„Trumpin hallinnon kielipoliisien painostus ulottuu Suomeen asti, kertoi Hufvudstadsbladet (HBL) viime viikolla. Lehden mukaan Trumpin hallinto on painostanut Helsingin yliopistoa poistamaan tiettyjä sanoja tiedotteista, jotka koskevat Yhdysvaltojen osin rahoittamia stipendejä. Kieltolistalla ovat HBL:n mukaan muun muassa ”ilmastonmuutos” ja ”tasa-arvoinen yhteiskunta”.

Es geht bei der schwarzen Liste von Trump um Diversität, Chancengleichheit, Inklusion (Diversity, Equity, Inclusion) — oder eben die gerechte Gesellschaft. Anders als in den USA ist die Freiheit der Wissenschaft und höherer Bildung in Finnland verfassungsmäßig garantiert. Die Hochschulen sollten davon intensiv Gebrauch machen. Ich möchte das an einem Beispiel präsentieren.

Eine Kollegin von mir, Mia Raitaniemi und ich, arbeiten gerade an einem Projekt, in dem es um inklusive Sprache im Deutschunterricht für finnische Germanisten und Deutschlernende geht. Die Gleichstellung der Geschlechter — auch sprachlich — wird von der EU als Grundrecht betrachtet. Die Verwendung von gendergerechter bzw. inklusiver Sprache stellt aus unserer Sicht ein zentrales gesellschaftliches Anliegen dar.

Der Ausgangspunkt unseres Projektes ist die Tatsache, dass sprachliche Repräsentation von Gleichstellung bzw. Inklusion sich erheblich zwischen Sprachen und Kulturen unterscheidet. Während Deutsch eine durch grammatisches Geschlecht gekennzeichnete Sprache ist, gehört Finnisch zu den genuslosen Sprachen. Bereits dieser Unterschied — er betrifft zum Beispiel die Personalpronomen, Genus und Artikelgebrauch — stellt finnische Deutschlernende vor Herausforderungen. Hinzu kommt jedoch auch eine sozio-politische bzw. pragmatische Dimension, weil die Sprachverwendung bewusst oder unbewusst eine Positionierung darstellt.

Um dies zu verdeutlichen, soll kurz ein Vergleich der Entwicklung gendergerechter Maßnahmen umrissen werden. Beginnen wir mit Finnisch:[1] Zwar ist Finnisch eine genuslose Sprache, aber auch im Finnischen ist das semantische Geschlecht realisiert (z. B. nainen/mies) und eine Movierung ist durchaus möglich, z. B. oppetaja und opettajatar.

Seit den 1990er Jahren hat das Zentrum der einheimischen Sprachen (Kotimaisten kielten keskus KOTUS), darauf aufmerksam gemacht, dass damals geläufige Formen wie nais-autoilija, nais-urheilija oder nais-taiteilija die Feminität des Akteurs unnötig oder sogar herablassend hervorhob. Daran schloss sich die Modifikation explizit männlicher Berufs- oder Personenbezeichnungen an (KOTUS gemeinsam mit der Jobplattform Duunitori 2019): Statt lakimies spricht man heute lieber von juristi, statt esimies von esihenkilö und so weiter. Auch im Finnischen gibt es also einen — gesellschaftlich akzeptierten — Wandel hin zu einer geschlechtergerechten Sprache, der didaktisch genutzt werden kann.

Im Deutschen ist die sprachliche Gleichstellung und die damit verbundene öffentliche Debatte im Vergleich sehr kontrovers. Sie kann hier nur angedeutet werden. Früher galt das generische Maskulinum als allgemein gebräuchliche Form eines effektiven Sprachgebrauchs. Dieses Maskulinum war akzeptiert, weil Männer eine dominante Stellung in der Gesellschaft hatten, aber auch, weil man nicht vom Sexus, sondern vom Genus ausging: „Ich hole noch ein Brot vom Bäcker.“ — egal, ob ich in der Bäckerei z. B. eine Frau oder einen Mann antreffe. Wenn man aber beispielsweise die Blog-Leser:innen der Aue-Stiftung adressiert und schreibt: „Liebe Leser“, dann passt das generische Maskulinum nicht mehr, denn: Wahrscheinlich sind ca. 50 % Leserinnen. Es geht nicht um Prozentzahlen, sondern um respektvollen Umgang und heute ist es angemessen, sprachlich alle Teilnehmenden zu berücksichtigen. In der Debatte ist nun allerdings noch ein weiterer Faktor zu berücksichtigen. Es gibt seit 2018 in Deutschland männlich, weiblich und divers. Ganz anders als im schwarz-weißen Trump-Kosmos. Wenn man schreibt: „Liebe Leserinnen und Leser des Aue-Blogs“ ist diese binäre Sprachverwendung nicht mehr inklusiv, wenn jemand sich weder männlich oder weiblich eindeutig zuordnen möchte. Deshalb benutzt man in der Schreibweise heute oft einen Asterisk oder einen Doppelpunkt oder einen Unterstrich und macht auch beim Sprechen einen Gendergap: Man schreibt heute oft: „Liebe Teilnehmer:innen des Aue-Blogs“ oder verwendet neutrale Formen.

Für finnische Deutschlernende und -studierende ist diese Situation kompliziert — nicht zuletzt, weil das eigene Sprachsystem wie gesagt genuslos ist. Einerseits macht man sich mit einem Sprachgebrauch vertraut, der im Moment nicht klar geregelt ist: Es gibt in Deutschland kein KOTUS wie in Finnland. Normiert ist die deutsche Sprache allein im Bereich der Orthographie und ist auch dort nur für Schulen und Behörden verbindlich. Gerade bei der gegenderten Verwendung der Sprache ist die verantwortliche Instanz sehr zurückhaltend und hat noch keine Empfehlung für das Gendern gegeben. Es gibt auch Gründe, die gegen die heute übliche Form des Genderns sprechen. Das kann im Alltag dazu führen, dass in einer bayerischen Schule nicht gegendert werden darf, in Seminaren an einer bayerischen Uni aber oft gegendert werden soll. Und ob man als Finnin oder Finne gendert oder nicht oder neutrale Formen verwendet, ist eine sprachliche Positionierung in dieser Debatte, ob man will oder nicht.

Mia Raitaniemi und ich haben vor diesem Hintergrund im letzten Herbst einen Fragebogen zum Gendern im Deutschen an Deutschlernende und -studierende in Finnland verschickt und 95 Antworten erhalten. Die Umfrage bietet Hintergrundinformation zum Gendern im Deutschen und fragt nach dem Wissen der Studierenden um die heute verwendeten sprachlichen Formen, aber auch das Wissen über die Genderdebatte.

Wir werten den Fragebogen zurzeit aus und werden die Ergebnisse auf der Finnischen Germanistik-Konferenz in diesem Jahr in Jyväskylä präsentieren. Erste Analysen haben ergeben, dass sich die Lernenden und Studierenden der Bedeutung der Verwendung gendersensibler Sprache im Deutschen bewusst sind, dass sie aber Probleme mit der Komplexität haben. Viele Teilnehmende beschreiben Unsicherheiten, wann und wie man angemessen gender-sensible Formen verwendet und ob man in der Verwendung der Sprache einen politischen Standpunkt verdeutlicht. Ähnliche Herausforderungen werden auch in anderen Studien aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache deutlich, wo Lernende klare Richtlinien vermissen und bei den möglichen Erwartungen verschiedener Ansprechpartner unsicher sind. Der Fokus sollte im Sprachunterricht daher nicht auf bestimmten Formen, sondern auf kritischer Reflexion der Sprachwahl liegen. Es geht also um interkulturelle Kommunikation und Kompetenz sowie das Bewusstsein der sprachlichen Diversität.

Die gegenderte deutsche Sprache wirkt manchmal wie ein Stolperstein und fordert unsere Aufmerksamkeit. Aber sie ist das Zeichen einer Gesellschaft, die andere Menschen respektiert, das Zeichen, dass wir keinen ausgrenzen, niederbrüllen oder erpressen wollen. Lieber eine schillernde Sprache der Teilhabe als schwarze Listen der Ausgrenzung. Auch diese Perspektive hilft, inklusive Sprache in unser Mindsetting mit integrieren.

Christian Niedling, yliopisto-opettaja (Universität Turku)

[1] Einen aktuellen Überblick bietet: Niedling/Raitaniemi: Gendern und Gleichstellungspolitik in Finnland. In: Balnat, Vincent; Kaltz, Barbara (Hg): Genus und Geschlecht in europäischen Sprachen: Geschichte und Gegenwart, Tübingen: Narr Francke Attempto, 451–465.