Michael Rießler: Mein deutschsprachiges Hobby

Mein Finnisch ist noch nicht perfekt. Als ich am Wochenende nach dem Schwimmen in die Sauna ging, fragte ich nach Pamfletti (wie deutsch Pamphlet; ich meinte aber Pefletti, die Sitzunterlage). Die Sprache, die ich zu Hause verwende und die sich fast wie meine Muttersprache anfühlt, ist Schwedisch. Danach kommt als zweite Fremdsprache Englisch, dass ich während meiner täglichen Arbeit an der Universität – sowohl im Unterricht wie auch in Gesprächen mit meinen Kollegen – fast ausschließlich verwende. Finnisch spreche ich auch täglich, wenn auch meist nur in einfachen Phrasen, so wie beim Kaufen der Eintrittskarte zur Schwimmhalle.

Meine Muttersprache Deutsch spreche ich regelmäßig nur Freitagabends beim Fußballtraining des FC Germania. Der 2015 von einer kleinen Gruppe deutschsprachiger Enthusiasten in Helsinki gegründete Verein hat heute über 100 Mitglieder und Mitspieler mit sehr unterschiedlichem sprachlichem Hintergrund. Laut der Satzung wurde der Verein zur „Förderung des Fußballsports für Freunde der deutschen Sprache in Finnland“ gegründet. (Yhdistyksen tarkoituksena on edistää jalkapallolajia saksan kielen ystävien kesken Suomessa.) Deutsch ist weiterhin eine sehr wichtige aber nicht die einzige Vereinssprache. Die offizielle Kommunikation, z.B. auf der Webseite, ist zweisprachig Deutsch und Englisch. Interne Informationskanäle funktionieren ebenfalls in beiden Sprachen oder sind oft auch nur einsprachig Englisch. Finnisch ist ebenfalls wichtig und sogar „offiziell“, insofern als die Vereinssatzung in Finnisch vorliegt. Viele Mitglieder beherrschen Finnisch mindestens als Fremdsprache und verwenden die Sprache regelmäßig untereinander. Die Sprachensituation ist also vielschichtig und könnte sogar ein spannendes Forschungsthema sein.

Als Wissenschaftler beschäftige ich mich viel mit Mehrsprachigkeit. Die Forschung dazu hat verschiedene Aspekte. Man untersucht unter anderem in welchen Situationen zwischen Sprachen gewechselt wird oder welche Funktionen die Sprachwahl über die inhaltliche Kommunikation hinaus erfüllen kann, zum Beispiel die Markierung einer Gruppenzugehörigkeit oder von Sozialprestige. Gleichzeitig muss daran gedacht werden, dass sich die Bedingungen für Mehrsprachigkeit schnell ändern können. Ein wichtiges Anliegen der Gründer des FC Germania war die Schaffung einer deutschen Sprachinsel für die Freizeit. Nachdem der Verein schnell wuchs und sich neben seinen sozialen Aufgaben auch ehrgeizige sportliche Ziele setzen konnte (die erste Mannschaft schaffte im Sommer den Aufstieg in die Nelonen, der fünften finnischen Liga), zog er viele neue Spieler an, die weniger an der deutschen Sprache als Hobby als am aktiven internationalen Sport Interesse haben. Als Lingua franca (Verkehrssprache) innerhalb des FC Germania hat deshalb Englisch eine stärkere Rolle eingenommen. Nebensächlich ist dabei, dass relativ wenige Vereinsmitglieder Englisch als Muttersprache sprechen.

Der Autor dieses Beitrages spielte als Torwart. Bildquelle: Tim Becker (FC Germania Helsinki), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Auf dem Mannschaftsfoto aus der aktuellen Talviliiga (Winterliga der Freizeitmannschaften) sind Sprecher des Albanischen, Arabischen, Dänischen, Deutschen, Finnischen, Italienischen, Rumänischen, Russischen und Türkischen (alphabetisch und falls ich niemanden vergessen habe) zu sehen. In der Winterliga spielen wir in einer aus allen drei aktiven Mannschaften zusammengewürfelten Aufstellung. Die Mehrzahl der hier anwesenden Spieler beherrscht zwar Deutsch und/oder Finnisch, und niemand ist englischer Muttersprachler. Trotzdem riefen wir uns, während des recht stressigen Spiels, Kommandos vor allem auf Englisch zu. Ob wir deshalb (ohne Torwartfehler!) zwei zu fünf verloren haben?

Meine persönliche Erfahrung ist möglicherweise nicht repräsentativ für den Verein als Ganzes, der auch eine Kinder- und Jugendabteilung in Zusammenarbeit mit der Deutschen Schule aufbaut. Und auch in meiner eigentlichen Mannschaft, dem Hobbyteam der Alten Herren, ist Deutsch weiterhin stark. Darüber bin ich froh, weil mein wichtigster Antrieb zum Fußballspielen das Hobby in der Muttersprache ist. Beim Training der Mannschaft habe ich fest oder vorübergehend in Finnland lebende Spieler aus allen drei deutschsprachigen Ländern getroffen, Spieler aus gemischten finnisch-deutschen Familien und Spieler, die Deutsch als Fremdsprache gelernt haben. Es gibt auch Spieler, die kein Deutsch sprechen. Das gewohnte Sprachgemisch aus dem Platz besteht deshalb aus Deutsch, Englisch, Finnisch und manchmal anderen Sprachen. In unserem Mannschafts-Chat zur Information und Organisation von Terminen dominiert inzwischen Englisch.

Würde eine fächerübergreifende Forschergruppe Daten zur Mehrsprachigkeit beim FC Germania sammeln, wären mögliche Methoden die teilnehmende Beobachtung während der Trainings, Spiele und anderen Veranstaltungen (Ethnologen), Fragebögen und Interviews zu den Gründen der Sprachwahl in der Vereinsleitung und auf individueller Ebene (Soziologen), Medienanalyse der Webseite und anderer öffentlicher Kommunikationsformen in Hinblick auf die Textrezipienten (Kommunikationswissenschaftler), und Korpusanalyse der Mannschafts-Chats im Hinblick auf Textproduzenten (Linguisten). Alle diese Daten könnten qualitativ oder quantitativ ausgewertet werden. Ich wäre gespannt auf die genauen Ergebnisse so einer Untersuchung. Meine Vermutung ist, dass der Status der drei wichtigsten Sprachen Deutsch, Finnisch und Englisch nicht ihre Rolle als Muttersprache bei einzelnen Vereinsmitgliedern widerspiegelt. Es scheint, dass Deutsch eher eine symbolische Funktion für die Vereinsidentität übernimmt, während Englisch die wichtigere Sprache für die inhaltliche Kommunikation wird.

Hoffentlich beschränken sich meine exemplarischen Mehrsprachigkeitsforscher nicht auf eine analytische Beschreibung mit rein theoretischem Wert, sondern tragen in Form angewandter Wissenschaft mit Empfehlungen oder Ratschlägen zur zukünftigen Gestaltung des deutsch- und mehrsprachigen FC Germania im Sinne des Zusammenhalts seiner Mitglieder bei. Für mich persönlich wäre es wichtig, dass mein Sportverein als eine deutschsprachige Insel in Finnland lebendig bleibt und der Gebrauch der Muttersprache dabei nicht auf eine symbolische Funktion beschränkt wird. Von jetzt an nehme ich mir deshalb vor, Deutsch als erste Sprache im Verein zu verwenden und nur wenn es wirklich notwendig ist auf andere Sprachen auszuweichen.

Zusätzlich zu meiner Rolle als fußballspielender Sprachaktivist des Deutschen muss ich aber auch weiter an meinem Finnisch arbeiten. Das Verb-Spiel ist eine gute Methode: Jemand ruft mir ein Verb zu, und ich muss es in den Grundformen beugen.

Potkaista, potkaisen, potkaisi – kicken, ich kicke, sie/er kickte.

Michael Rießler

Michael Rießler lebt seit mehreren Jahren in Finnland. Seit 2020 arbeitet er als Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Ostfinnland. Er lehrt und forscht zu den Themen Minderheit, Mehrsprachigkeit und Kulturkontakt.