Rede von Nicholas Pennanen anlässlich des Kulturabendessens des Beirats der Aue-Stiftung am 14. August 2024

Sehr geehrte Damen und Herren, Ihre Exzellenzen und Freunde der interkulturellen Begegnungen,


vielen Dank für die Einladung und die Ehre, die Festrede heute halten zu dürfen. Meine Name ist Nicholas Pennanen und ich bin in Tampere Mitte der 80er Jahre geboren, dann Anfang der 90er Jahre mit meiner Familie nach Deutschland gezogen. Heute wohne ich mittlerweile in der Schweiz und habe ein sehr internationales aber auch deutsch geprägtes Umfeld, beruflich wie privat. Beruflich bin ich heute für Lidl Schweiz tätig und war zuvor in verschiedenen Positionen von Lidl Finnland, Lidl Schweden und Lidl Deutschland jahrelang aktiv.


Da ich oft gefragt werde, wo ich mich zuhause fühle und die Antwort nicht nur an einem bestimmten
Ort ist, sondern oft darauf hinausläuft, dass ich mich tatsächlich europäisch fühle, möchte ich heute
meine Beobachtungen im Kontext Europa zwischen Nord- und Mitteleuropa in der Kürze der Zeit mit
Ihnen teilen.


Es ist derzeit eine spannende Phase in Europa, da sich globale Machtverhältnisse verschieben und wir
mittendrin sind. Heute geht es neben den geopolitischen Spannungen, auch um wirtschaftliche
Ungleichheit, globale Gesundheit, Klimawandel und Technologie-Vorherrschaft. Um ehrlich zu sein,
sind die Berichterstattungen als auch die Expertenmeinungen diesbezüglich eindeutig. Wir in Europa
werden abgehängt und Deutschland ist als Motor nicht mehr stark genug. Zudem gibt es auch
innerhalb Deutschlands viele offene Fragen. Deshalb lohnt es sich ein Bild darüber zu machen:


Thema Kultur:


Eine Facette der deutschen Kultur aus der Aussensicht ist das überkritische, welches für andere
Kulturen schwer verständlich ist und die deutsche Kultur mitunter dadurch auch als unsympathisch
hier und da gelten mag. In meiner Jugend war das überkritische eher leistungsfördernd und hat
Ehrgeiz geweckt. So hat man sich sehr angestrengt, um beispielsweise die gesellschaftliche Akzeptanz
zu erreichen. Die Zeit war sehr Leistungs- und Wettbewerbsorientiert und der Hunger nach
gesellschaftlicher Anerkennung war sehr gross. Dies führte regelmässig zu Höchstleistungen.
Ich selbst kam ohne jegliche Sprachkenntnisse mit 7 Jahren nach Deutschland. Recht schnell habe ich
durch Sport und eine sehr gute Lehrerin die Sprache gelernt. Viele andere Einwanderer ebenso.
Erschreckend aber die Ergebnisse jüngerer Zeit zu lesen, wie die IGLU-Studie zeigt, dass jeder vierte
Viertklässler nicht richtig schreiben und lesen kann -> Die Folge dessen ist, dass sie keine ordentliche
bzw. erfolgreiche schulische Ausbildung erhalten werden. Damit werden diese Menschen leider auch
keinen überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Wertbeitrag zur Gesellschaft leisten.


Auch die Presse hat sich in meiner Wahrnehmung stark verändert:
Gerne nehme ich den Fussball als Vergleich, der in Deutschland ja bekanntlich als das Schmiermittel
der Gesellschaft bezeichnet wird. So war eine Schlagzeile zum WM Titel 1990 noch «1:0 Ja, es ist
wahr! Weltmeister»…


Heute würde es wahrscheinlich lauten «Schlecht gespielt und trotzdem Weltmeister». Die Presse in
Deutschland ist sehr negativ und auch skandalorientiert geworden. Dies nehme ich stark wahr, da ich
schweizer, finnische und deutsche Presse lese. Dies hat natürlich aus Auswirkungen auf die
Grundstimmung eines ganzen Landes. Die Presse hat eine extrem verantwortungsvolle Rolle, die nicht
immer entsprechend gelebt wird. In der Schweiz und Finnland ist es meiner Meinung nach passender.
Das überkritische findet sich auch im Wirtschaftsleben wieder. So findet man in Finnland oft eine
inhaltlich gute Präsentation förderlich, während im deutschsprachigen Raum erstmal viel Zeit für die
Optik und gar nicht so für den Inhalt aufgewendet wird. In meiner Rolle habe ich dies auch immer
versucht zu erklären, dass für den Deutschen Stakeholder die Präsentation optisch stimmig sein muss,
da er sonst nicht an den Inhalt glaubt. Ganz nach dem Motto «was nicht gut aussieht, kann auch nicht
richtig sein». Dies übrigens auch ein ganz heisser Tipp für alle Geschäftsbeziehungen mit Deutschen.
Dazu kommt natürlich auch das bekannte Verhalten, dass man im deutschsprachigen Raum sehr
risikoscheu ist und sich zunächst mal mit den Risiken, anstelle der Chancen auseinandersetzt. Dies
verhindert oftmals die ersten Schritte einer Veränderung. Den Status Quo beizubehalten, wird
oftmals als besser empfunden.


Thema Wirtschaft:


Selbstverständlich hat sich auch das reale Wirtschaftswachstum in meiner Lebenszeit verändert,
welches die Basis für das Wohlstandwachstum ist. Wo die Wirtschaft und der Wohlstand nicht mehr
wachsen, kommt es mehr zur Verteilungskämpfen und dadurch mitunter zu Radikalisierungen. Das
spürt, merkt und sieht man heute schon in Deutschland, aber nicht nur dort. Unerlässlich für
Deutschland und damit auch Europa ist es aber die Wirtschaft zum Wachsen zu bekommen und das
Wachstum fortzuschreiben. Auch hier gibt es zahlreiche Baustellen.


Vor allem das Mindset ist wichtig, dies möchte ich an einigen Beispielen verdeutlichen: – –
Veränderungsbereitschaft und Innovationen sind der Antrieb der Wirtschaft:
Wenn wir uns die grössten deutschen Unternehmen nach Börsenwert vor 20 Jahren
anschauen. Welche waren das?

Zukunftsdenken:


Thema Künstliche Intelligenz, wahrscheinlich damit einhergehend mitunter die
grösste Evolution der Menschheitsgeschichte, die bevorsteht. Es gibt sehr viele
Meinungen dazu, aber wenn ich es zusammenfasse, steht die Regulierung der KI an
erster Stelle in Deutschland und dass man stolz drauf ist, dies als erster geschafft zu
haben.


Lieber wäre es mir, wir hätten führende Unternehmen in dem Bereich und wären
stolz darauf. Diese sind aber in USA und Asien mit weitem Abstand, wenn man sich
Investitionsvolumen in Rechenleistung oder den technischen Stand anschaut. Dort ist
die Regulatorik aber nicht das erste Ziel, sondern die Potenzialausschöpfung und
«time to market».


Das Thema Daten als Währung der Zukunft wird in anderen Ländern als
Riesenmöglichkeit gesehen, und auch so behandelt. Auch Finnland hat einen grossen
Standortvorteil. Heute Morgen habe ich gehört, dass das statistische Amt Finnlands
zum 2. Mal hintereinander die WM der Weltbank für Statistikerhebung gewonnen
hat. Ein Grund für den Erfolg liegt mitunter an historisch langen Datenspeichern und
damit einhergehend auch die Nutzung derer für Statistiken. Besonders in
Deutschland hält man sich mit Fragen im Nano-Bereich des Datenschutzes auf.
Verstehen sie mich bitte nicht falsch, Datenschutz ist wichtig, aber die Möglichkeiten der Datenschätze mindestens genauso.

Geleistete Arbeitsstunden in Europa Allgemein sind sehr niedrig, auch in Deutschland. Das hat
nichts mehr mit dem schwäbischen Ideal «schaffe, schaffe, Häusle baue» gemeinsam. Klingt
erstmal angenehm, aber können wir uns das volkswirtschaftlich leisten?
Diese Beispiele kennen sie sicherlich und man könnte die Aufzählung noch beliebig fortführen.
Nun aber genug der Negativität. Wir sollten Deutschland als auch Europa nicht klein reden oder
gar unterschätzen. Es hat auch viel Gutes zu bieten und die Lösungen liegen auf der Hand.
Deutschland hat unglaublich viele Vorteile, wie ich immer wieder merke. Einige Beispiele hierzu
sind:


Deutschland ist weiterhin die 3. Grösste Volkswirtschaft der Welt mit einer doch sehr
resilienten Wirtschaft


Eine Exportnation mit guten Handelsbeziehungen rund um die Welt und der Qualitätsmarke
«Made in Germany»


Ein Land wie Deutschland ist schon im globalen Kontext sehr effizient, auch im Sinne der
Nachhaltigkeit. Deutschlands Co2 Ausstösse bewegen sich bei knapp 2% der globalen Menge.
Es ist zwar ehrenhaft als Ziel, das auf null bringen zu wollen, aber stattdessen könnte das Ziel
die globalen Ausstösse um 20% zu senken sein, mit dem Know-how und Wissen aus
Deutschland.


Es gibt einen sehr hohen Qualitätsanspruch, der sich in Produkten widerspiegelt. Der Drang
zum Perfektionismus und das Übererreichen sind prägend. Als Beispiel nehme ich hierbei
gerne und nicht ganz ernst gemeint das Bierglas:


Während man in Finnland (mitunter historisch und gesetzlich bedingt) das Bier genau zum
Strichmass serviert bekommt. So bekommt man in keinem seriösen deutschen Lokal Bier
nicht nur bis zum Strichmass, sondern mehr und obendrauf noch eine schöne Schaumkrone.
Das ist teilweise sinnbildlich gut dafür, womit man sich zufriedengibt. In Deutschland muss es
immer etwas mehr sein, bevor man zufrieden ist. Das ist im wesentlichen nicht negativ.
Deutschlands unglaublich kulturreiche Historie, welches auch die Basis für viele Beziehungen
und Partnerschaften bildet.


Das duale Bildungssystem ist meiner Meinung nach exzellent. Das habe ich in meiner Zeit in
Schweden und Finnland festgestellt. Während man im Norden Europas die akademische
Bildung als Idealismus ansieht, steht die praktische Ausbildung in den deutschsprachigen
Ländern mindestens genauso hoch im Kurs. Es klingt hart, aber eine zu hohe akademische
Bildung kann auch als Ressourcenverschwendung gesehen werden, da es für viele einfache
Arbeiten gar nicht auf zu akademische Bildung ankommt. Gleichzeitig haben die
Nordeuropäer schon Herausforderungen mit dem Berufseinstieg, der in den
deutschsprachigen Ländern deutlich besser gelingt. Gerade in der Schweiz gibt es auch den
Idealismus des lebenslangen Lernens, welche man aber oftmals auf eine klassische
Ausbildung aufbaut und neben der Arbeit weiterführt.


Ebenso bemerke ich den Idealismus im Social Media als auch bei Mindset von
Arbeitnehmern. Während man in Nordeuropa sich die Frage stellt, was der Arbeitgeber noch
mehr für mich tun kann, ist die Frage in der Schweiz «was kann ich für den Arbeitgeber noch
mehr tun».


Was könnte man denn aus Nordeuropa zum Thema Kultur und Mindset «exportieren»?
Für mich ist es definitiv die Führung und das Miteinander auf Augenhöhe. Ich denke die
Führungskräfte hier sind zum einen fachlich deutlich mehr gefordert, weil man durch die
flachen Hierarchien viele Begegnungen hat, welche mit fachlichen Themen verbunden sind.
Der Schlüssel zum Erfolg ist also die Menschen zu überzeugen und dadurch werden Themen,
Prozesse und Entscheidungen einem harten Qualitätscheck unterzogen. Zum anderen ist man
mehr auch am Menschen an sich interessiert und erklärt mehr Hintergründe, rein aus der
Kultur heraus, weil es einfach richtig und motivierend ist.


Auch die ergebnisoffenen Diskussionen ohne Tabus hier im Norden sind sehr förderlich für
Innovationen und Zufriedenheit, im deutschsprachigen Bereich sind Diskussionen mitunter
politisch voreingenommen oder es gibt gar Tabus, auch in der Wirtschaft. Dadurch werden
blinde Flecken gebildet oder gar Entscheidungsoptionen von vorneherein ausgeschlossen.
Gleichzeitig auch noch Unzufriedenheit gefördert.


Ein weiteres Thema wäre Positivität und Stolz auf das Erreichte: Beispielsweise gelten die
nordeuropäischen Länder mitunter zurecht als sehr innovativ im Bereich Nachhaltigkeit und
man ist auch stolz drauf.


Wenn man sich das genauer anschaut, kann aber auch Deutschland sehr stolz sein. Ein
Beispiel ist aus meiner Sicht die Photovoltaik-Technik (ugs. Solarenergie). Deutschland hat mit
dem know-how und grossen Investitionen (ich meine es waren rund 80 Mrd €) eine der
zukünftig und auch heute global wichtigsten nachhaltigen Energieversorgungslösung zur
Marktreife gebracht. Auch wenn die Panele heute woanders produziert werden, gehört
Deutschland hierfür zumindest moralisch der Dank und darauf darf man stolz sein.

Vielleicht muss es erstmal noch etwas schlechter werden, bevor der Wille und die Motivation
gross genug sind etwas zu ändern. Beim Sport bzw. spezifisch im Fussball haben die
Deutschen dieses Jahr gezeigt, dass es geht. Nach Ausscheiden in der Vorrunde bei
Grossturnieren, hat man durch clevere Verjüngung, ohne die alten Stärken zu vergessen,
Integration von neuen Spielern gepaart mit einem frischen Mindset schon sehr gut gespielt
und ist nur unglücklich durch ein Schiedsrichterfehler gegen den späteren Europameister
Spanien im Viertelfinale ausgeschieden. Ich glaube die WM 2026 wird nochmal erfolgreicher.
Die Stimmung und das geeinte Deutschland ausserhalb des Spielfeldes haben mir persönlich
extrem gut gefallen. Somit dient der Fussball tatsächlich als Schmiermittel der Gesellschaft in
Deutschland. Weshalb sollte also der Wiederaufstieg Europas mit Deutschland als Motor
nicht auch in anderen Bereichen gelingen? Besinnen auf die alten Stärken, clevere
Verjüngung, Förderung der Integration, Mut zum Risiko, das nordische Mindset als Basis für
das Miteinander, egal ob im Gesellschaftlichen Leben oder in der Wirtschaft. Dies und eine
Investitionsoffensive in Infrastruktur, Bildung sowie Digitalisierung. Und vor allem
Zusammenarbeit in Europa, besonders zwischen Nord- und Mitteleuropa. Das wäre zum
Vorteil von allen und aus meiner Sicht der Schlüssel zum Erfolg. Vor allem sind die
deutschsprachigen Länder sehr offen für die nordische Kultur und es gibt immer viel
Interesse, auch wenn die Faktenlage teilweise veraltet ist. Ich persönlich habe immer wieder
gemerkt, wie positiv behaftet Finnland ist und sich dadurch immer wieder neue Türen
geöffnet haben. Sowohl beruflich als auch privat. Es gibt auch sehr viele Finnland Fans und
weiterhin extrem viele Verbindungen nach Finnland, welche man definitiv nicht
unterschätzen, sondern noch mehr nutzen sollte.


Zum Schluss möchte ich natürlich die Verantwortung für das Gesagte nicht abschieben, es
liegt an jedem selbst, vielleicht sogar an uns hier drin etwas mehr, dafür Sorge zu tragen, dass
diese Entwicklung gefördert und beschleunigt wird.
Ich hoffe ich habe Ihnen die eine oder andere Diskussionsgrundlage für den restlichen Abend
geboten und möchte mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.
Gibt es Fragen ihrerseits zum gesagten oder möchten Sie vielleicht etwas ergänzen?