Sandra Reimann: Rückblick auf die erste German Studies-Konferenz

Die Beziehungen zwischen Finnland und den deutschsprachigen Ländern sind vielfältig und eng. Deutschland war und ist bekanntlich seit Jahren auch wieder der wichtigste Handelspartner Finnlands. Sogar in der Corona-Zeit kamen mit die meisten Tourist*innen aus Deutschland nach Finnland. Kultur, Literatur, Bildung, Philosophie, Jura, Politik, Theologie – es gibt viele gesellschaftlich relevante Bereiche, die für den finnisch-deutschen Austausch relevant sind und für die deutschsprachige Publikationen immer noch eine herausragende Rolle spielen.

Das passt auch alles zu den Zielen und Inhalten der Aue-Stiftung. Das Wissen über das deutschsprachige Mitteleuropa, mit dem Finnland seit Jahrhunderten in enger Verbindung steht, ist ein grundliegendes Anliegen der Aue-Stiftung. Die finnische, private und politisch unabhängige Stiftung wurde 1985 von Theodor und Ulla Aue gegründet und fördert das Wissen über das deutschsprachige Mitteleuropa, mit dem Finnland seit Jahrhunderten in enger Verbindung steht; dazu gehört auch der wissenschaftliche und künstlerische Austausch. Die Aue-Stiftung will dazu beitragen, das Bewusstsein um diese europäische Bindung, auch im Hinblick auf die europäische Wertewelt und gemeinsame Ziele, wie die nachhaltige Entwicklung, zu stärken.

Die deutsche Sprache hat in Finnland eine lange Tradition: Seinerzeit war sie äußerst populär. Bis zum 2. Weltkrieg war Deutsch sogar die wichtigste Fremdsprache an finnischen Gymnasien (wenn man mal vom Schwedischen als zweiter Landessprache absieht). Die Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Finnland waren sehr rege und Wirtschaft und Handel zwischen den beiden Ländern spielten eine große Rolle. Deutsche Haushaltsgeräte waren beispielsweise sehr beliebt. Dann wurde die Nachfrage nach Englisch stärker. Hochschulpolitische Entscheidungen und andere Entwicklungen trugen in jüngerer Zeit dazu bei, dass die deutsche Sprache und das Universitätsfach Germanistik / Deutsche Sprache und Kultur Unterstützung vertragen können.

Vor diesem Hintergrund wurde die Idee der internationalen und interdisziplinären wissenschaftlichen Konferenz

Was die Gesellschaft bewegt – German Studies in Nordeuropa zu aktuellen Fragen aus Sprache/Kultur, Politik und Geschichte“

des Forschungsausschusses der Aue-Stiftung konzipiert. Die Planungen wurden über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführt. Die Nische für eine interdisziplinäre Veranstaltung auf Deutsch für alle, die sich für die deutschsprachigen Länder und die dortigen Kulturen interessieren und die auch die deutsche Sprache verwenden möchten, lag in der Luft. Die Konferenz fand an der dreisprachigen Universität Helsinki statt und dabei größtenteils in den wunderschön zentral gelegenen Räumlichkeiten des Helsinki Collegium for Advanced Studies (Forscherkolleg), das übrigens auch ständig deutschsprachige Fellows beherbergt und enge institutionelle Beziehungen zu vielen Schwesterinstituten für Advanced Studies in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterhält, wie der Direktor des Forscherkollegs Prof. Dr. Tuomas Forsberg, der gleichzeitig auch für die Universität Helsinki sprach, in seinen Grußworten ausführte.

Weitere Grußworte kamen von der Europaministerin Tytti Tuppurainen und dem Österreichischen Botschafter Dr. Herbert Pichler; die Botschaft beteiligte sich auch als Sponsor an der Veranstaltung. Die Einführung übernahm Prof. Dr. Sandra Reimann, Vorsitzende des Forschungsausschusses der Aue-Stiftung.

Dr. Herbert Pichler

Veranstalter der Konferenz waren die Aue-Stiftung, der finnische DAAD-Alumni-Verein (zahlreiche Alumni waren auch unter den Teilnehmenden), das Helsinki Collegium for Advanced Studies an der Universität Helsinki, die Theologische Fakultät der Universität Helsinki und das Center for Parliamentary Studies der Universität Turku.

„German Studies“ – das ist nicht Germanistik. Die Veranstalter griffen mit dem Konzept der Tagung den bekannten Terminus auf, der nicht einheitlich verwendet wird, aber auf jeden Fall mehr umfasst als die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sprache Deutsch. Da ist beispielsweise die Rede vom „Studium und der Erforschung der deutschen Sprache, Literatur und Landeskunde“, wozu mindestens Geschichte und Politik zählen. Der DAAD spricht auf seinen Seiten zum „German Studies-Dozentenprogramm in Nordamerika“ eine „Vielzahl von Fachdisziplinen“ an, die „ihren Beitrag zur Vermittlung eines authentischen und zeitgemäßen Deutschlandbildes, seiner neueren Geschichte und seiner aktuellen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Realität“ leisten sollen. Dazu gehören vorrangig die Fächer Politikwissenschaft, Geschichte, Soziologie und Kulturwissenschaft mit deutscher, europäischer oder transatlantischer Perspektive. Die Germanistik wird da gar nicht an erster Stelle genannt. In Großbritannien – darauf geht Christian Fandrych, germanistischer Linguist mit Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache an der Universität Leipzig bereits in einem Beitrag aus dem Jahr 2006 (Germanistik – pluralistisch, kontrastiv, interdisziplinär. In: Deutsch als Fremdsprache. 2006. 43 (2). S. 71-78) näher ein – wird die Disziplinen-Bezeichnung „German Studies“ schon seit den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts „in einem umfassenden kulturwissenschaftlichen Sinne verwendet“, wobei „die gesellschaftlich-kulturellen Themen an vielen German Departments eher Hintergrundwissen“ waren, „während sie heute vielfach im Vordergrund stehen“ (Fandrych 2006, 73). Dabei beschäftigen sich die Dozierenden zum Beispiel „mit der neueren Geschichte der deutschsprachigen Länder im europäischen Kontext, mit politologischen, soziologischen, ökonomischen und kulturwissenschaftlichen Fragen in Bezug auf die deutschsprachigen Länder, aber auch mit Fragen der Übersetzungswissenschaften und der interkulturellen Kommunikation“ (Fandrych 2006, 74). Mit dieser Multidisziplinarität muss natürlich auch umgegangen werden können – im jeweiligen Kontext und im Hinblick auf verschiedene Ziele. Als ein „Wesenskern“ wird dabei „die akademische Sprachfähigkeit im Deutschen“ bezeichnet (Fandrych 2006, 75).

Europaministerin Tytti Tuppurainen hat ein Videogrußwort übermittelt.

Ziel der Veranstaltung war der Austausch zwischen Forschenden aus den Bereichen Sprache und Kultur, Politik und Geschichte in ihren Disziplinen und interdisziplinär. Herzlich eingeladen waren aber auch alle anderen, die sich für die angebotenen (aktuellen) Themen interessierten, sich informieren, inspirieren oder einfach zuhören und vielleicht beim Kaffee noch ein bisschen weiter ins Gespräch kommen wollten. Und es kamen viele. Rund 30 Vorträge wurden angemeldet, weitere rund 40 Zuhörende hatten sich registriert für die Veranstaltung inmitten von Helsinki. Dazu gehörte auch der ehemalige Ministerpräsident Dr. Paavo Lipponen, der finnische Diplomat René Nyberg und die ehemalige Vorsitzende der Aue-Stiftung Dr. Sinikka Salo.

Dr. Paavo Lipponen und Prof. Dr. Sandra Reimann (Foto: Hartmut Lenk)

Drei Parallelsektionen mussten für die Vorträge eingerichtet werden, so dass die Auswahl vorrangig aus den Bereichen Politik, Geschichte, Theologie und Sprache groß war und man (leider) die Qual der Wahl hatte. Einige Themen seien genannt: „Gendern in Finnland und Deutschland: Ein Vergleich der gesellschaftlichen Diskurse aus sprachwissenschaftlicher Perspektive“, „Die evangelisch-lutherische Kirche in Finnland und die protestantischen Kirchen in West- und Ostdeutschland 1945–1990“, Rhetorische Zeitenwende als Voraussetzung für eine politische Zeitenwende? Kontinuität und Wandel deutschen außenpolitischen Selbstverständnisses im Spiegel von politischen Reden“, „Kontinuität oder Wandel? Zeitenwende in der deutschen strategischen Kultur seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine“ oder „Zur grenzüberschreitenden Stromübertragung und zu regionalen Supernetzen im europäischen Kontext – eine Sichtung der wissenschaftlichen Literatur zwischen 2013 und 2023“. Mehrsprachigkeit war ebenfalls ein Thema und die Rolle der deutschen Sprache in Finnland wurde nicht zuletzt in der Podiumsdiskussion gegen Ende der Veranstaltung behandelt.

Die Plenarvorträge sprachen wirklich ein breites Publikum an, auch wenn sie aus jeweils einer Fächerperspektive (Sprache, Politik, Geschichte) kamen: „Sprachideologien: Sand und Öl im Getriebe des gesellschaftlichen Austauschs“ (Prof. Dr. Jürgen Spitzmüller, Wien), „Deutschland in Zeiten nationaler und globaler Umbrüche: 1945 – 1989/90 – 2022“ (Prof. Dr. Kristina Spohr, London) und „Deutschland in Zeiten der Ampel: Neustart nach der Bundestagswahl 2021?“ (Prof. Dr. Thorsten Faas, Berlin).

Zur allseits thematisierten gelösten und anregenden Atmosphäre trugen sicherlich auch die Zeiten zwischen den Vorträgen bei: zum Beispiel die Kaffeepausen, der Empfang des Forscherkollegs oder das Abendessen im deutschen Lokal „Zinnkeller“. Auch ein „Spaziergang auf deutschen Spuren“ und ein Besuch der Deutschen Bibliothek in Helsinki standen zur Auswahl und rundeten das Programm ab.

Das Konzept des Forschungsausschusses der Aue-Stiftung ist aufgegangen. Eine der schönsten Rückmeldungen zur Veranstaltung war wohl die mehrfach geäußerte Frage: „Wann gibt es eine Fortsetzung?“