Ein Lob auf Finnland von 1808 – Forschungsseminar und Buchpräsentation am 18.9.2019
07.04.2021Ein über 200 Jahre altes Gedicht, in dem in 599 deutschen Versen ein deutscher Lehrer aus Wiborg das Finnland seiner Zeit liebevoll beschreibt, ist nun wieder als Faksimiledruck neu herausgekommen – mit einer zusätzlichen englische Übersetzung.
Bis auf den letzten Platz gefüllt war der Seminarraum im Metsä-talo, als Dr. Sinikka Salo, Vorstandsvorsitzende der Aue-Stiftung, die Präsentation der Neuausgabe des Faksimiles von August Thiemes Poem „Finnland“ eröffnete. Dieses Gedicht ist ein Dialog in klassischen Versen zwischen einem Finnland-Skeptiker und seinem Freund, der die Gedanken des Dichters und Wiborger Kreisschulinspektors August Thieme ausdrückt. Er verteidigt das Land gegen die üblichen Vorurteile (Kälte, Kulturlosigkeit, Mücken) und schildert die Gaben der Natur sowie Fleiß und Erfindungsreichtum seiner ‑ lesekundigen – Bewohner.
Die Aue-Stiftung hatte das seltene Werk schon 2012 als Faksimile mit in metrischen Übersetzungen in die drei anderen Sprachen des damaligen Wiborg herausgebracht. Sinikka Salo schilderte, wie sehr die finnische Übersetzung Teivas Oksalas sie und ihre Enkel gefesselt habe. Aber dieser Text müsse auch international zugänglich sein, so dass die Aue-Stiftung im Zeichen der EU-Ratspräsidentschaft Finnlands eine Neuausgabe mit englischer Übersetzung anstrebte. Sinikka Salo dankte vor allem dem anwesenden Übersetzer, Prof. Ritchie Robertson (Universität Oxford), dass er nicht nur das Gedicht, sondern auch die wissenschaftlichen Begleittexte der Edition mit großem Engagement übertragen habe.
Prof. Hartmut Lenk, Leiter der Abteilung Sprachen / Germanistik der Universität Helsinki, betonte seine spontane Bereitschaft, Gastgeber für diese Veranstaltung zu sein.
Prof. Robertson drückte am Anfang seines Vortrags „Klassizität und Geographie: Thiemes ‘Finnland’ im Kontext der Literatur der Goethezeit“ seine Faszination an dem Werk aus: überbordend mit Details, aber ein herzerwärmendes Gesamtlob. Auch wenn es heutigen Lesenden überladen vorkomme, stehe es stilistisch einem Klopstock nicht nach. Das ins Englische übertragene Versmaß sei zwar in der Zielsprache ungewöhnlich, aber durchaus belegt. Der Gedanke der Weltverbrüderung knüpfe an Schiller an, die Hoffnung auf eine zukünftige Aufgabe der Finnen an Herder. Gerade sein Detailreichtum und die Zukunftshoffnung weise das Gedicht der Gattung des Idylls zu, für das diese beiden Züge charakteristisch seien.
Dr. Robert Schweitzer, der Herausgeber des Werks, stellte „Das ‚Deutsche Wiborg‘ als Entstehungsumfeld von Thiemes Finnland-Gedicht“ vor.
In der Diskussion zeichnete Prof. Hannu Riikonen ein Bild der vielsprachigen Entstehungsumwelt des Gedichts im alten Wiborg mit seinen deutschen Schulen, in dem aber durch die Frauenbildung und das Gut Monrepos sogar das Französische eine Rolle spielte und die Nähe Petersburg weitere Einflusskanäle öffnete.
Prof. Christoph Parry verwies zunächst zurück auf eine ältere Dichtung über Finnland in Hexametern, Johannes Paulinus‘ griechisches Lob des Magnus principatus Finlandiae von 1678. Zur literaturgeschichtlichen Einordnung verwies er darauf, dass Thiemes Finnland einem seinerzeit schon 80 Jahre „kanonisiertem“ Vorbild folge: Hallers Die Alpen. Es sei noch nicht der Romantik zuzurechnen: die beschriebene Nation sei noch die Freiheitsnation, Thieme kein Nationalist.
Roman Schatz, Übersetzer und Rundfunkjournalist, bekannte sich aus seiner Situation eines zweisprachigen Deutschen in Finnland als Schicksalsgenosse Thiemes. Er zollte aus seiner Erfahrung der Übersetzungsleistung höchste Anerkennung.
Nach einem Glückwunsch zu der faszinierenden Übersetzung fachte der Übersetzungswissenschaftler Prof. Andrew Chesterman eine intensive Fachdiskussion an. Zentral war die Frage, ob bestimmte Stilmittel in der Ausgangs- und Zielsprache denselben Effekt beim Lesenden haben, z.B. ob Thiemes Eigenheiten und Worterfindungen im Englischen einen unbeabsichtigt komischen Effekt haben könnten. Mit der Einstufung als „documentary translation“ war ein Konsensus erzielt.
Herausgeber Dr. Robert Schweitzer betonte noch einmal die Grundentscheidung, dass diese Übersetzung einen Begriff von deutscher Dichtung der Zeit geben wolle, wobei der Entstehung am Rande des deutschen Sprachraums mit Einsprengseln aus anderen Ostseeraumsprachen Tribut gezollt wurde. Die stärkere Texttreue im Vergleich zu den Übersetzungen in die anderen drei Sprachen solle das Gedicht auch weiteren Interessierten an Nordischen Studien zugänglich machen.
Robert Schweitzer