Rede von Alexander Bargum anlässlich des Kulturabendessens des Beirats der Aue-Stiftung am 16.8.2022

Ihre Exzellenz, meine Damen und Herren,

Es ist eine große Ehre, eingeladen zu sein, die Festrede vor diesem illustren Publikum zu geben. Aufgrund meiner beruflichen Rolle erwarten Sie vielleicht, dass ich über internationalen Handel, über Governance in Familienunternehmen, oder über politische Fragen zu Investitionen und Unternehmertum spreche.

Ich sehe dies jedoch als eine seltene Gelegenheit für mich, weniger über Wirtschaft und mehr über Geschichte und Kultur zu sprechen. Bei einem Kulturabendessen wäre es sowieso nicht angebracht, nur was Nützliches zu servieren. Ich werde hauptsächlich von drei Themen ausgehen. Das erste ist meine eigene deutsche Familiengeschichte, insofern sie auch einige entscheidende Phasen und Entwicklungen in der Geschichte Finnlands und seines Wirtschaftslebens illustriert. Das zweite ist mein persönlicher Bezug zur deutschen Sprache. Das dritte Thema betrifft die Wirtschaft als Kultur- und Bildungsform. Irgendwie werde ich versuchen, mir selbst und dem Publikum zu erklären, wie diese Themen zumindest teilweise miteinander verknüpft sind.

Der Vetter meines Urgroßvaters, Albert Goldbeck-Löwe, in Plön in Schleswig-Holstein geboren, kam 1894 nach Helsinki, um eine eigene Import- und Handelsfirma zu gründen. Die Aue-Stiftung hat große Beiträge zur Dokumentation und Darstellung seines Lebens und Werdegangs geleistet, und ich möchte das bereits Gesagte und Veröffentlichte diesem Publikum nicht wiederholen. Für meine Geschichte heute Abend sind nur einige Details relevant.

Albert Goldbeck-Löwe ​​wurde schnell zu einer prominenten Persönlichkeit unter den in Helsingfors lebenden Deutschen. Als deutscher Vizekonsul veranstaltete er bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Evakuierung aller Deutschen aus Finnland. Während des Krieges gründete er eine neue Firma in Stockholm, beschäftigte sich aber hauptsächlich mit diversen diplomatischen Kontakten. Nach seiner Rückkehr nach Helsingfors im Jahr 1918 unterhielt er enge Beziehungen zu den in diesem Jahr hier anwesenden deutschen Truppen, zur finnischen Regierung und zum deutschen Außenministerium. Er beherbergte sogar die deutsche Botschaft im neuen unabhängigen Finnland für einige Monate im Büro seiner Firma, bis die Botschaft in ihre eigenen Räumlichkeiten umziehen konnte.

Albert Goldbeck-Löwe ​​betrachtete Deutschland und Finnland als seine beiden Heimatländer. Sein Deutschland jedoch war das kaiserliche Deutschland Wilhelms II., und das blieb es bis zu seinem Tod im Jahr 1934. Ein kleines Detail in seinen Lebensberichten ist, wie alle wichtigen Versammlungen der deutschen Kolonie mit dem Singen von Die Wacht am Rhein verbunden war. Ich bin überzeugt, dass Albert Goldbeck-Löwe ​​entsetzt gewesen wäre, das Lied als Eröffnungsmelodie der täglichen Propagandasendung des Nazi-Radios zu hören – oder von Nazi-Offizieren gesungen, wie es in Casablanca dargestellt wird. Andererseits soll die Wahl des Filmregisseurs dieses Lied anstelle des Horst-Wessel-Liedes oder „Deutschland Deutschland über alles“ vielleicht zumindest eine gewisse Sympathie beim Filmpublikum hervorrufen: die deutschen Offiziere sind in der Tat nostalgisch für eine ehrenwertere Geschichte, oder sie hoffen, dass das derzeitige Regime nur eine vorübergehende Phase sein wird.

In seinen Notizen und Korrespondenzen beklagt sich Albert Goldbeck-Löwe nie groß darüber, dass er als Deutscher 1914 seine Firma, sein Haus, sein Sommerhaus und andere Habseligkeiten aufgeben musste. Er beklagt sich auch nicht viel über den Zustand, in dem er sie nach dem Krieg, in dessen Verlauf die Firma in Algol umbenannt wurde, vorfand. Er stellt nur mit einem resignierten Unterton die Tatsachen fest – und schildert ganz kurz, wie er alles wieder aufgebaut hat. Heute, da geopolitische Unruhen wieder Unsicherheit und Verluste für viele Unternehmen verursachen, kann man es nicht vermeiden, seinen Stoizismus und seine Entschlossenheit bewundernswert zu finden.

Die ersten Mitarbeiter in Albert Goldbeck-Löwes Firma waren Deutsche. Sein Vetter, mein Urgroßvater Ludolf Bargum, kam 1899 und wurde später auch Aktionär. Ludolf und seine Kinder wurden 1932 finnische Staatsbürger, kurz bevor Nazi-Deutschland die Befreiung von der deutschen Staatsbürgerschaft einstellte, die damals eine Voraussetzung für die Erlangung einer finnischen Staatsbürgerschaft war. Wenn die Familie nur ein Jahr länger gewartet hätten, hätten sie wahrscheinlich die Gelegenheit verpasst, die Staatsbürgerschaft zu wechseln, und unsere Familiengeschichte hätte möglicherweise ganz anders ausgesehen. Im schlimmsten Fall wäre mein Großvater gezwungen gewesen, auf deutscher Seite im Krieg zu kämpfen, aber zumindest wäre der gesamte Familienbesitz nach dem Krieg beschlagnahmt und als Reparation an die Sowjetunion übergeben worden.

Zu den deutschen Rekruten von Albert Goldbeck-Löwe ​​in seiner Firma gehörte auch sein Neffe Adolf Goldbeck-Löwe, der 1919 nach Helsingfors zog. Er wurde 1939 Geschäftsführer, aber seine Herrschaft in der Firma dauerte nicht besonders lang. Adolf Goldbeck-Löwe ​​sahen die Aussichten Finnlands und der deutschstämmigen Finnen nach dem Krieg düster aus – er war überzeugt, dass das Schicksal Finnlands dem der baltischen Staaten ähneln würde, und floh ohne Vorankündigung nach Schweden im September 1944.

Einige Jahre später übernahm mein Großvater Eric Bargum die Führung und Mehrheitsbeteiligung an der Firma. Seine Karriere bei Algol begann 1947 mit einer Reise ins Nachkriegsdeutschland, um die alten Geschäftsbeziehungen wieder aufzubauen. Fünfzig Jahre später, im Alter von 88 Jahren, reiste er zum letzten Mal nach Deutschland, diesmal als Referent beim vierten Snellman-Seminar der Aue-Stiftung in Hamburg zum Thema „Zur Neuorientierung der finnisch-deutschen Beziehungen nach 1945“. Ich erinnere mich sehr gut an seinen Enthusiasmus bei der Aussicht auf diese Reise, vielleicht nicht sehr verschieden von meinem bei der Gelegenheit, heute hier zu sprechen. Ich glaube, er hat sogar seinen Schneider beauftragt, ihm für die Reise einen neuen grauen Anzug zu machen, auch wenn es mir so vorkam, als hätte er mehrere identische von früher.

Mein Großvater hat die Firma bis zu seiner Pensionierung erfolgreich aufgebaut. Adolf Goldbeck-Löwes Plan, nach Finnland zurückzukehren, wenn es wieder sicher schien, und die Früchte der Arbeit meines Großvaters zu ernten, wurde durch seinen Tod in einem Autounfall im Jahr 1959 unterbrochen. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie purer Zufall das Schicksal unserer unternehmerischen Familiengeschichte beeinflusst hat.

Als Hommage an Albert Goldbeck-Löwe ​​und sein Lebenswerk ließen wir bei unserem 125-jährigen Jubiläumsdinner Die Wacht am Rhein von einem Männerchor aufführen – vielleicht zum Entsetzen unserer deutschen Gäste und anderer Gäste, die sich an das Lied aus Casablanca erinnern, aber wir dachten, es war das Risiko wert.

Auch im Elternhaus meines Großvaters wurde die deutsche Sprache nicht exklusiv gesprochen. Die gemeinsame Sprache seiner deutsch-schottischstämmigen Eltern war Schwedisch, und das ist bis heute die Familiensprache geblieben. Dennoch verblieb das deutsche kulturelle und geistige Erbe unserer Familie stärker, als wir vielleicht immer gedacht haben. Sie manifestiert sich in einem gewissen Ordnungssinn, verbunden mit einem ebenso starken Freiheitsgefühl. Wenn ich verallgemeinern darf – was in Kontexten wie diesem erlaubt, fast schon erwartet wird –, so scheint mir, dass die Deutschen freiheitsliebender sind, als wir in den nordischen Ländern oft verstehen. Hier neigen wir viel eher dazu, Autoritäten und Konventionen zu folgen und uns ihnen anzupassen.

Ich könnte die deutsche Familientradition auch anders veranschaulichen: „gutbürgerlich“ war in meiner Kindheit immer – vielleicht teilweise, aber nicht nur, als Scherz – der letzte Maßstab für etwas Positives, das bestmögliche Attribut von allem, was Stil und Haltung betrifft – „kleinbürgerlich“ dagegen die schlechteste Abweichung. Solche Meinungen und Werte könnten sicherlich auch auf viele andere Arten ausgedrückt werden, aber in meiner geistigen Landschaft sind diese beiden Konzepte kleine, aber wichtige Beispiele für den Einfluss der deutschen Kultur.

Für mich war es naheliegend, Deutsch in der Schule zu lernen. Damals galt es noch als wichtig für jede zukünftige Karriere, aber meine Gründe waren eher persönlich. Ich wollte die sprachliche Brücke zum familiären Hintergrund aufrechthalten. Und doch sind mir die deutschsprachigen Vorfahren wie stumme Schatten der Vergangenheit etwas fern geblieben. Viel wichtiger ist wohl die Art und Weise, in der die deutsche Sprache mir Möglichkeiten eröffnet hat, die deutsche Kultur in einem viel breiteren Sinne zu genießen.

Um beispielsweise Poesie in schwedischer Sprache aus den vergangenen Jahrhunderten bis heute vollständig zu verstehen und zu schätzen, ist es unerlässlich, die Einflüsse von Schriftstellern wie Hölderlin, Rilke und Paul Celan zu verstehen – um nur einige meiner eigenen Favoriten zu nennen. Viele andere sind genauso wichtig. Diese Dichter nur auf Deutsch kennenzulernen, ist für einen Nicht-Muttersprachler schwierig. Andererseits lernt man sie nicht richtig kennen, wenn man sie nur in übersetzter Form liest. Man braucht sowohl das Original als auch die Übersetzung!

Musik ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wichtig die deutsche Sprache für mich gewesen ist: Keine Musik war für mich annähernd so wichtig wie die Lieder von Schubert, dicht gefolgt von der Vokalmusik von Bach, und den Opern von Mozart. Sprache ist dabei ein absolut wesentlicher Teil des musikalischen Erlebens.

Habe ich zur deutschen Kultur gefunden, weil ich zufällig etwas Deutsch kann, oder wollte ich Deutsch lernen, weil ich irgendwie wusste, dass ich mehr von der deutschen Kultur verstehen möchte? Wenn ich zum Beispiel fließend Französisch gelernt hätte, hätte ich dann die Einflüsse französischer Schriftsteller auf die nordische Poesie entdeckt und meine Lieblingsmusik unter französischen Komponisten gefunden? Wer weiß, aber was ich sagen möchte, ist, dass jede neue Sprache nicht nur eine neue Welt in dieser Sprache eröffnet, sondern auch als wesentlicher Einstiegspunkt in unsere eigene Kultur dient.

Neue Technologien haben bereits die Art und Weise verändert, wie wir Sprachkenntnisse sehen. Unsere Mobiltelefone sind Simultandolmetscher für gesprochene und geschriebene Kommunikation in fast jeder Sprache, und die Technologie hat auch die Rolle des Englischen als Lingua Franca in vielerlei Hinsicht weiter gestärkt. Diese Entwicklung wird sich mit ziemlicher Sicherheit fortsetzen und sogar beschleunigen. Allerdings sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass Technologie nur als Ergänzung zum traditionelleren Konzept der Sprachkompetenz dienen kann, nicht so sehr als Konkurrent. Technologie kann uns in vielen Situationen helfen, in denen Sprachkenntnisse nützlich sind, aber sie kann niemals die Schönheit, das Vergnügen und den Wert der Sprache ersetzen. Es wird oft gesagt, dass Englisch in jedem Land gut zum Kaufen ist, aber um zu verkaufen, muss man die Landessprache sprechen. Das mag immer noch wahr sein, aber für mich verfehlt diese Wahrheit den eigentlichen Grund, warum Sprachkenntnisse wichtig sind.

Es ist daher etwas alarmierend, dass das Interesse am Erlernen von Sprachen in Finnland offenbar schnell abnimmt, zumindest gemessen an den Abiturprüfungsstatistiken. So haben beispielsweise vor rund 20 Jahren jährlich etwa 10.000 oder mehr Abiturienten eine Prüfung in deutscher Sprache abgelegt. Dieses Jahr waren es nur etwas mehr als 1.300.

Geschätztes Publikum: Ich habe meine eigene Vorliebe für Kunst in verschiedenen Formen kurz angerissen. Wie ich eingangs sagte, habe ich nicht oft Gelegenheit, darüber zu sprechen, und doch könnte nichts natürlicher sein, als sich sowohl für Wirtschaft als auch für Kultur zu interessieren. Wirtschaft ist Kultur im weitesten Sinne: Wirtschaft basiert wie jeder andere Ausdruck von Kultur auf Traditionen und Strukturen, Wissen und Verständnis und menschlicher Interaktion. Wirtschaft und Kunst erfordern beide Disziplin, beide zielen auf die Befriedigung materieller bzw. spiritueller Bedürfnisse der Zielgruppe ab, beide sind mit Risiken verbunden – finanzielles Risiko für den Unternehmer, intellektuelles und emotionales Risiko für den Künstler. Wirtschaft und Kunst sollen zukunftsweisend sein, sie sollen immer wieder neue Wege gehen und dem Schwierigen oder Unbequemen nicht ausweichen. Darüber hinaus fällt einem in Zeiten, in denen die Wirtschaft einer immer stärkeren Regulierungsflut unterliegt, während die Freiheit von Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen in einigen Teilen der Welt immer mehr eingeschränkt wird, eine weitere Gemeinsamkeit ein: Keine externe Instanz, schon gar nicht die Politik, sollte der Wirtschaft oder der Kunst den Auftrag aufzwingen, „Gutes zu tun“. Was in beiden Bereichen zählt, ist der immanente Anspruch auf Ehrlichkeit und die Erkenntnis, von innen heraus, dass das eigene Handeln auf Menschen und Gesellschaften eine Einwirkung hat. Dieses Verantwortungsgefühl ist es, was sowohl Wirtschaft als auch Kunst zu Kräften des Guten in der Gesellschaft machen kann.